Das knifflige Poesiepuzzle, Folge 12: Infinitive verhindern

Achim Raven veröffentlicht in loser Folge am 13. eines Monats Überlegungen zu Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Gedichteschreibens. Im ersten Beitrag geht es um den Vers, der weder Zeile noch Satz ist und in der Ambivalenz seiner Möglichkeiten höchsten Scharfsinn oder aber bodenlose Dumpfheit befördern kann.

 
 

Infinitive verhindern

 
Ich habe ein Gedicht geschrieben:
 
Zufällig …

Im trüben Novemberlicht
Vor einem vertrauten Grab stehen
In Erinnerungen versinken

Unter dem Gebüsch
Ein Rascheln im muffigen Laub
Kurz hinsehen und erblassen

Ein Rotkehlchen auf
Einem halben Oberschenkelknochen
 
Ich habe damit nicht nur einfach ein Gedicht geschrieben, ich habe damit ein  schlechtes  Gedicht geschrieben.

Der Titel eines Gedichtes wiegt schon deshalb schwer, weil er sich ja nur auf vergleichsweise wenige Wörter verteilt. Einmal ist er natürlich die Schrift, die drüber steht, ein Inhaltsversprechen, eine Art Programm, zum anderen steht er qualitativ über dem Gedicht als ein Allgemeines, das die disparaten Einzelheiten zusammenführt. Der hier gewählte Titel ist aber nur ein viel-, also nichtssagendes Raunen. Verräterisch der Dreipunkt, der ja eigentlich eine Auslassung markiert, z.B. Sch…gedicht!. Hier aber wird nichts ausgelassen, hier wird Vorstellungsfülle vorgegaukelt: Ach, was gäbe es alles zu sagen … – an Beliebigkeit nicht zu überbieten: nichts gibt‘s hier zu sagen. Obendrein wurde für diesen Titel die denkbar ungeeignetste Wortart gewählt: der Wechselbalg Adjektiv/Adverb, der erst im syntaktischen Zusammenhang seine Aufgabe zugewiesen kriegt. Dieser Wechselbalg steigert die Schwammigkeit des Titels: Es bleibt unentschieden, ob es sich um eine satzwertige Verkürzung (Adverb) handelt oder um bezugsloses Attribut (Adjektiv). Dieser signifikante Unterschied ist im vorliegenden (Nicht-)Zusammenhang aber auch völlig wurst.

Die folgende Vorstellung des vertrauten Grabes wird dann durch den unbestimmten Artikel zunichte gemacht, denn Vertrautes ist immer bestimmt. Zudem fragt sich, ob die Zuweisung eines Adjektivs hier überhaupt angemessen ist. Geht es hier wirklich nur um die behauptete Eigenschaft eines Grabes, etwas Akzidentelles, oder nicht doch um etwas Substanzielles? Dies ließe sich besser durch ein Possessivpronomen ausdrücken. Mein / dein / sein / ihr / unser / euer / ihr Grab ist keine behauptete Eigenschaft.

In Erinnerungen versinken wäre eine dezente Metapher, dem traurigen Ort angemessen, wäre da nicht, wie schon im Vers davor, dieser Infinitiv. Der Infinitiv ist, wie der Name schon sagt, die unbegrenzte, unbestimmte Form des Verbs. Er sagt einfach nur aus, dass Gehen nicht Sitzen ist. Nur in besonderen grammatischen Konstruktionen (Substantivierung, Kombination mit „zu“) bekommt er eine konkrete syntaktische Funktion. Wer ihn pur verwendet, will im Allgemeinen bleiben, um ernsthaft zu erscheinen und doch unverbindlich zu bleiben. Denn der Infinitiv hat keinen Modus. Er ist kein Befehl (Imperativ), keine Sachaussage (Indikativ), keine distanzierende Aussage (Konjunktiv). Aussagen im Infinitiv haben immer etwas wohlfeil Appellatives. Vorwärts und nicht vergessen!Immer schön fröhlich bleiben!Gutes tun und darüber reden!Einfach mal die Schnüss halten!

Der Verwendung des Infinitivs ist jedoch nicht das Problem, sondern nur ein Symptom des unfreien Willens, der Verwechslung von Indifferenz und Willkür mit Freiheit. Der unfreie Wille ist sprunghaft und verzettelt sich in Augenblicksimpulsen. Er ist diesen Impulsen so stark unterworfen, dass von Freiheit im Sinne von Autonomie nicht die Rede sein kann. Er verwickelt sich permanent in Widersprüche, weil ihm das, worauf er sich richtet, gleichgültig ist, nämlich bloßes Objekt der Begierde, der Abscheu, der kalten Distanz. Die sprachliche Gestalt dieser vereinnahmenden Beziehungslosigkeit ist der Infinitiv: In Erinnerungen versinken – da geht es gar nicht um die Erinnerungen, denn es gibt kein Subjekt, das sich zu ihnen verhält (in welchem Modus auch immer), es geht einzig ums Versinken: die pure Regression. Diese Regression Meditation zu nennen, würde nichts besser machen. Im Gegenteil. Die Freiheit des unfreien Willens ist die Freiheit der Apathie und des Phlegmas (Gemütlichkeit), jederzeit in Aggression (tumultöse Empörung) umzuschlagen.

Es empfiehlt sich also dringend, das Gedicht umzuarbeiten:
 
Zufall

Im trüben Novemberlicht
Stehe ich vor eurem Grab
Versinke in Erinnerungen

Unter dem Gebüsch
Ein Rascheln im muffigen Laub
Mein Blick huscht hin

Ein Rotkehlchen auf
Einem halben Oberschenkelknochen
 
Die bereinigte erste Strophe offenbart nun erst recht ihre Schwächen. Das trübe Novemberlicht ist ein Klischee, beinahe schon eine Tautologie, und lediglich Staffage für das, was den nächsten beiden Strophen folgt: das Rascheln, der abgelenkte, verhuschte Blick, das Rotkehlchen auf einem Knochenfragment an einem Ort, an dem auf keinen Fall Knochen herumliegen dürfen. Hier ist etwas, das nicht sein soll, und das Vögelchen sitzt drauf, als wäre es ein Symbol. Die damit erzeugte Spannung braucht keine Staffage. Sie braucht auch keine Information, wer da begraben liegt, von Belang ist einzig, dass die Begrabenen dem lyrischen Ich viel bedeuten. Die Spannung braucht nur das Bild der letzten Strophe, das Bild eines magischen Zufalls, wie Lautréamont ihn definiert als das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch. Im magischen Zufall wirkt ähnlich wie beim Schicksal eine verborgene Notwendigkeit. Er ist ein wichtiges Utensil aus dem Werkzeugkoffer der Kunst. Ihm unmittelbare Realität zuzuschreiben, wäre freilich esoterischer Hokuspokus. Der alltägliche Zufall dagegen widerfährt ohne jede Notwendigkeit. Der Titel des Gedichts erhebt aber ihn zum Programm, denn die Staffage der ersten Strophe und die anekdotische Darstellung (Ich tue dies und jenes) betonen die Alltäglichkeit der Szenerie. Damit gerät auch diese zweite Version in eine Schieflage: Die Überschrift verwirft bereits, was die letzte Strophe suggeriert.

Der Spannung, die den Kern des Gedichts ausmacht, ist die Chiffre des Rotkehlchens durchaus zuträglich, essenziell ist sie nicht. Umso mehr stellt sich die Frage, wie das Rotkehlchen auf den Knochen kommt. – Rotkehlchen und Knochen sind Relikte aus dem Erinnerungsmaterial, das dem Gedicht zugrunde liegt: Ich habe tatsächlich einmal einen halben Oberschenkelknochen im Friedhofsgebüsch gesehen. Das enigmatische Rotkehlchen stammt aus einem Gespräch mit meiner Mutter, die das neugierige Tier auf dem Grab meines Vaters beobachtet hat, „als wollte es etwas sagen.“ Die Erzählung meiner Mutter hat sich dann viel später mit einem Gedicht des niederländischen Lyrikers Chris J. van Geel verbunden: De roodborst (Das Rotkehlchen), in dem der kleine Vogel in die Nähe der Unsterblichkeit gerückt wird. Diese Engführung ermöglicht es, das Rotkehlchen aus dem vorliegenden Gedicht in ein eigenes zu versetzen und ihm mehr Verbindlichkeit zu geben:
 
Die Unsterblichkeit des Rotkehlchens

nach Chris J. van Geel

Je vindt zijn lichaam nooit
dood in een heg alleen

 
Auf dünnen Beinchen hüpft es aufgeplustert vor dich hin
Genügsam aber immer hungrig
Steifschnablig schwarzäugig inspiziert es dich
Bisschen vorwurfsvoll bisschen ironisch
Von Viertelewigkeit zu Viertelewigkeit

Ohne Zufall, ohne Stimmungsmalerei und ohne Rotkehlchen ist nun der Weg frei für eine dritte Version:
 
Fund

Unterm Friedhofsgebüsch
Im muffigen Laub
Ein halber Oberschenkelknochen
Nicht Rind nicht Hund
Mehr so dazwischen
 
Der Titel führt jetzt nicht mehr in die Irre, er ist allgemein und zugleich ein Inhaltsversprechen, nicht nur die Infinitive sind getilgt, sondern die Verben überhaupt. Das wäre nicht nötig gewesen, aber die Verben wollen einem ja immer was erzählen, sie schaffen die Abfolge des „und dann und dann und dann“, was für die prinzipielle Gleichzeitigkeit der lyrischen Elemente leicht zum Problem werden kann. Außerdem ist der Titel klanglich verknüpft mit Rind und Hund. Der letzte Vers markiert, beinah schon als Pointe, eine Unbestimmbarkeit (nicht zu verwechseln mit der Unbestimmtheit der Infinitive), deren Sinn darin besteht, den halben Knochen nicht als Menschenknochen identifizieren zu müssen, was auf einem Friedhof ja naheliegt. Für Freund*innen anatomischer Exaktheit sei noch angemerkt, dass der Vergleich mit Rinder- und Hundefemur ja nicht auf die Länge bezogen ist, sondern auf die Masse. Aber das ist keine poetische Überlegung, sondern Pedanterie. Im Gedichttext zählen Bildhaftigkeit und Klang.

Die nächste Herausforderung wäre ein Gedicht, in dem Infinitive eine poetische Funktion haben. Wer traut sich?
 

© Achim Raven

 
 

Achim Raven
Achim Raven (Foto: privat)
Achim Raven, geboren 1952 in Düsseldorf, hat von 1984 bis 2015 unter dem Pseudonym Ferdinand Scholz einige Bücher mit Lyrik und Prosa veröffentlicht.
Seither veröffentlicht er unter seinem richtigen Namen, zuletzt: Fehlgänge – Dreizehn Geschichten von der Rückseite des Möbiusbandes, Düsseldorf 2019, edition virgines. Er hat 40 Jahre an Gymnasien Deutsch, Philosophie und Kunst unterrichtet und 10 Jahre literarisches Schreiben an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Ein Kommentar

  1. Als gedichtferner Vielleser nahezu völlig anderer Texte und Textgattungen wende ich mich zuerst der dritten Version zu, die mir als gereinigte und “beste” Version vorgestellt wird. Bedauerlich ist, bereits die beiden Versionen davor nebst aller Erläuterungen dazu gelesen zu haben, weil ich deshalb der dritten Version nicht völlig unbeeinflusst gegenübertreten kann. Ich kann es nur noch im Als-Ob-Modus versuchen, muss es aber, weil mir diese dritte Version als lyrisch reifste dargeboten wird und es deshalb verdient hat, als selbstsprechend zu gelten, also ohne die Vorkenntnisse von mir aufgenommen zu werden.

    “Fund”

    Titel/Überschriften sind meiner Auffassung nach einerseits Absichtserklärungen und Erwartungsanregungen der Verfasser*innen und initiieren andererseits, zeitlich versetzt, Erwartungsabsichten der Leser- und oder Hörer*innen.
    Es wird etwas gefunden werden, erfahre ich. Meine Absicht ist, wenn ich weiterlese, nachzuvollziehen, was vom Schreiber gefunden wurde.

    “Unterm Friedhofsgebüsch”

    Mir wird der Ort genannt. Ich weiß, was ein Friedhof ist, wozu er dient. Ich frage mich, was der Friedhof als Ort mit dem Fund zu tun haben wird und wer aus welchem Grund auf dem Friedhof ist und dort etwas findet.

    “Im muffigen Laub”

    Laub unter einem Friedhofsgebüsch, das muffig ist, kann ich mit einer Jahreszeit assoziieren. Es wird wohl Herbst oder (Früh-)Winter sein. Drei Fragen habe ich. Mit welcher Absicht Friedhof? Grabbesuch oder Spaziergang? (Friedhofsspaziergänge ohne Besuch eines speziellen Grabes sind ein relativ häufiges Phänomen.) Warum Herbst oder Winter? Wer ist dort zu dieser Jahreszeit?

    “Ein halber Oberschenkelknochen”

    Spannung! Weitere Fragen. War der Knochen leicht zu sehen oder musste sich der/die Unbekannte bücken oder gar unter das Gebüsch kriechen? Grabschändung? Schlampige Beerdigung? Spannung! (Randfrage: Ist der Entdecker des Fundes Mediziner, Biologe oder Forensiker oder warum kann er einen Knochen so schnell identifizieren?)

    “Nicht Rind nicht Hund”

    Spannungssteigerung! Menschenknochen? Menschenknochen im Laub unterm Gebüsch auf dem Friedhof? Ich stoppe die in Gedanken purzelnden Assoziationen und lese weiter, um zu erfahren, was es ist.

    “Mehr so dazwischen”

    Erste Enttäuschung. Ich soll es nicht genau erfahren, es kommen keine weiteren Zeilen. Zwischen Rind und Hund könnte von der Größe her Mensch sein, überlege ich. Ich breche die Überlegung aber schnell ab, weil ich nicht wissen kann, wer mit welcher Absicht auf dem Friedhof ist und welche Bewandtnis es mit irgendeinem Knochen nicht im Grab, sondern außerhalb von Gräbern auf dem Friedhof hat. Völlige Enttäuschung!

    Ich frage mich als gedichtferner Vielleser in Erinnerung an Schulzeiten und Germanistikstudium, ob es nur meine Unfähigkeit ist, das lyrische Ich in oder zwischen den Zeilen/Versen zu entdecken? Ob ich mal wieder die Metaphern, Symbole, Allegorien usw. nicht entdecke, die möglicherweise zuhauf in dem kurzen Gedicht stecken?
    Ich ziehe eine verrostete Gehirnschublade auf und entdecke dort eine vage Andeutung über die besondere Qualität von Rätselhaftigkeit in Lyrik. Ich bin ratlos.
    (Zusatzproblem: Ich kenne den Verfasser, schätze ihn sehr und frage mich deshalb auch noch auf ganz andere Weise, was er zum Ausdruck bringen will. Möglicherweise ein Zugang, der noch untauglicher ist als der bisherige?)

    Also raus aus dem Als-Ob-Modus und von hinten nach vorne hinein in den Text über “Infinitive verhindern”.

    Im drittletzten Satz werde ich mit einem als Dogma formulierten Satz konfrontiert, der mich in meiner Absicht, verstehen zu wollen, zaghaft werden lässt. “Im Gedichttext zählen Bildhaftigkeit und Klang.” Also der Hund nur, weil er mit dem Titel klanglich korrespondiert? Ein freiliegender Knochen auf einem Friedhof, während in den Gräbern Knochen modern? Ist das ein Bild? Ich begreife es nicht. Allmählich stellt sich Niedergeschlagenheit ein.

    Weiter oben werde ich über zwei erlebte Hintergründe des Gedichts informiert. Der Autor hat tatsächlich einmal einen halben Oberschenkelknochen auf einem Friedhof entdeckt und seine Mutter hat von einem Rotkehlchen erzählt, das sie auf dem Grab seines Vaters beobachtet hat, als wolle es etwas sagen. Eine weitere Verbindung bzgl. Rotkehlchen besteht für den Autor zu einem Gedicht über ein Rotkehlchen von einem niederländischen Lyriker.

    Nun erhalte ich extrem selten, sollte ich Lyrik (oder andere literarische Texte) lesen, derartige Informationen, die der Autor hier als Hintergrundmaterial für sein Gedicht preisgibt. Das aber fasse ich als positive Ausnahmesituation auf, die durch die Existenz eines Gedicht-Blogs ermöglicht wird, in dem sich Autoren auch mal selbst erklären. Gut so. Nun weiß ich, warum der Oberschenkelknochen aus der Erinnerung des Autors im Gedicht gelandet ist. Nur, zum Henker, wo ist das Rotkehlchen?

    Weiter oben erfahre ich von der Entscheidung des Autors, den halben Oberschenkelknochen für essenziell zu halten, das Rotkehlchen hingegen nicht, weshalb es in der dritten Gedichtversion nicht mehr auftaucht, gleichsam rechtzeitig weggeflogen ist, bis der Autor den Oberschenkelknochen entdeckt. Ein wenig traurig macht mich das schon, denn ein Rotkehlchen ist als Symbol der Neugier hervorragend geeignet und hätte mir deshalb auf einem Friedhof sehr gefallen.

    Nun lese ich die zweite Version des Gedichtes und stelle fest, wie wichtig das in der dritten Version eliminierte Rotkehlchen ist, weil es erst den Blick des Friedhofsbesuchers durch Rascheln im Laub auf den halben Oberschenkelknochen lenkt. Ich frage mich erneut, wie dieses possierliche Tier als perfektes Neugiersymbol und übrigens auch noch als quicklebendiger Widerspruch zu Friedhof, Grab und halbem Oberschenkelknochen aus dem Gedicht entfernt werden konnte. Künstlerische Freiheit? Vielleicht, aber als gedichtferner Vielleser überzeugt mich das selbstredend nicht. Warum der Titel nunmehr “Zufall” und nicht mehr “Fund” ist, muss ich weiter oben erfahren.

    Dort werde ich in den kritischen Erläuterungen zur ersten Gedichtversion fündig. Die Kritik am Titel “Zufällig …” ist bzgl. Wortwahl und “…” luzid, weil argumentativ stringent. Die Änderung des Titels von “Zufällig …” in “Zufall” halte ich für eine Halbmaßnahme, die nach dieser einleuchtenden Kritik nicht radikal genug ausfällt und möglicherweise auf einer poetologischen Engführung der Argumentation beruht. Die Kritik war hinreichend, um den Titel von “Zufällig …” in den inhaltlichen Kern des Gedichts zu verwandeln, also in “Fund”.

    Die weitere (Selbst-)Kritik am Ursprungsgedicht (erste Version) ist ohne Einwände nachvollziehbar – sowohl bzgl. der Unbestimmtheit des Grabes, das besucht wird, als auch hinsichtlich der Unbestimmtheit durch die Infinitive. Nur, nach meiner unmaßgeblichen, aber vielleicht doch bedenkenswerten Lesart, ist die nahezu völlige Eliminierung oder Verschleierung des lyrischen Ichs (in der dritten Version) nicht die Lösung. Sowohl das Erblassen des Grabbesuchers beim Anblick des halben Oberschenkelknochens als auch der durch das Rascheln des Rotkehlchens im Laub überhaupt erst provozierte Blick auf diesen Knochen ist meiner Auffassung nach wesentlich für dieses Gedicht.

    Nach meiner Lesart müsste der Titel ebenfalls “Fund” sein. Dann aber müssten sowohl die Reaktion des Besuchers eines bestimmten Grabes als auch das reaktionsauslösende Rotkehlchen für die Entdeckung des Knochens im Gedicht verbleiben. Ich würde demnach eine Version des Gedichtes favorisieren, die den Titel der dritten Version benutzt und sich sprachlich sowie inhaltlich zwischen der ersten und zweiten Version bewegt.

    Einen konkreten Vorschlag werde ich selbstverständlich nicht unterbreiten, weil das nicht nur übergriffig wäre, sondern mich auch als gedichtfernen Vielleser heillos überforderte.

    Peace!

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