Im babylonischen Süden der Lyrik – FOLGE 32: »EIN DICHTER WUNDERSAMER EPIPHANIEN – GUSTAVO PEREIRA (VENEZUELA): ›SOMARIS‹«

Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.

 

Gustavo Pereira

SOMARI DEL SOMBRERO QUE JAMÁS USÉ

Para tener presente el sombrero que jamás usé
tengo el sombrero que jamás uso
Así transcurro el tiempo
Trastabillando entre lo que tengo y no anhelo
y lo que anhelo y no tengo.
 

Gustavo Pereira

SOMARI VOM HUT, DEN ICH NIE TRUG

Um mir den Hut vor Augen zu halten, den ich nie trug
habe ich den Hut, den ich nie trage
So verbringe ich die Zeit
Schwankend zwischen dem, was ich habe und nicht wünsche
und dem, was ich wünsche und nicht habe.
 

Übertragen von Juana & Tobias Burghardt
 

Gustavo Pereira gehört zu den großen lateinamerikanischen Lyrikern der Gegenwart. Der venezolanische Dichter wurde vor noch gar nicht langer Zeit mit der höchstdotiert poetischen Auszeichnung der spanischsprachigen Welt geehrt, dem renommierten III. Internationalen Lyrikpreis Víctor Valera Mora vom Zentrum für Lateinamerika-Studien Rómulo Gallegos (Celarg), das auch den traditionsreichen gleichnamigen Romanpreis Rómulo Gallegos auslobt. In der Begründung der Lyrikpreisjury hieß es: »ein Dichter wundersamer Epiphanien wie der poetischen Erfindung der ›Somaris‹ – eine inspirierte und erleuchtende Gedichtform, die das vordergründig Ästhetische mit einer humanistischen Haltung, tiefer Weisheit, ironischen Tupfern und Erotik durchdringt«.
 

Desde hace mucho he venido escribiendo o intentando pequeños artefactos que por recato, luego de haberlos llamado «poemas breves», nombré con un neologismo devenido al azar: somaris. No tienen ellos forma específica como los haikús o tankas japoneses, o los sonetos itálicos o las coplas castellanas, ni intención precisa como los epigramas griegos y romanos, sino que los caracteriza, amén de la brevedad y anhelada concisión, su libertad formal, su poliantea y casi siempre su laconismo.

Son, para decirlo en lengua actual, versos portátiles, poesía de bolsillo fácil de llevar, digerir, y en ocasiones hasta bien encubrir en el volátil, confuso y disparatado «tempo impaziente» que nos acosa y nos agosta.
En suma, nimias y pasajeras escaramuzas que pretenden conciliar, como modesto tributo a la sinrazón de nuestro tiempo, la fugacidad del vivir, el humor, el extravío, la insensatez, la insubordinación y a veces, por qué no, un asomo de estremecimiento compartido.

Gustavo Pereira

Seit langer Zeit habe ich kleine Artefakte geschrieben oder zu schreiben versucht, die ich aus Scheu, nachdem ich sie »kurze Gedichte« nannte, mit einem zufälligen Neologismus benannte: Somaris. Sie haben keine eigentliche Form wie die japanischen Haikus oder Tankas oder die italienischen Sonette oder die spanischen Coplas, ebenso wenig präzise Absichten wie die griechischen und römischen Epigramme, sondern neben ihrer Kürze und erwünschten Knappheit charakterisiert sie ihre formale Freiheit, ihre klangliche Vielfalt und fast immer ihr Lakonismus.

Es sind, um es in jetziger Sprache zu bezeichnen, tragbare Verse, leicht transportable und verdauliche Taschenpoesie, und mitunter gar gut zu verbergen in der flatterhaften, wirren und törichten »ungeduldigen Zeit«, die uns bedrängt und austrocknet.

Kurz und gut, unbedeutende und flüchtige Scharmützel, die als schlichter Beitrag zur Unvernunft unserer Zeit die Flüchtigkeit des Lebens, den Humor, den Abweg, die Unbesonnenheit, den Ungehorsam und manchmal, warum nicht, einen Anflug von geteilter Erschütterung miteinander versöhnen möchten.

Gustavo Pereira

 

Gustavo Pereira

SOMARI

Los mayas conocieron las estrellas
Los incas el camino del mar
Yo conozco tu cuerpo y he venido del desierto
Sé que hay una calle allí por la que me iré y me perderé.
 

Gustavo Pereira

SOMARI

Die Mayas kannten die Sterne
Die Inkas den Weg des Meeres
Ich kenne deinen Körper und bin aus der Wüste gekommen
Ich weiß, dass es dort eine Straße gibt, auf der ich gehen und mich verlieren werde.
 

Übertragen von Juana & Tobias Burghardt
 

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Tobias Burghardt. Foto: privat
Tobias Burghardt. Foto: privat

Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie sowie »Septembererde & August-Alphabet«. Im Februar erschien seine Werkauswahl »Mitlesebuch 117« (Aphaia Verlag, Berlin/München 2018). Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Portugal, Serbien, Schweden und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet. Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem Internationalen KATHAK-Literaturpreis in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.

Ein Kommentar

  1. Celebramos a Gustavo Pereira y Los Somaris en Lengua Alemana. Estra edición tuvimos la suerte de acompañarla desde el trabajo incansable del buenamigo poeta y traductor Tobias Burghardt. cuando desde Venezuela con la luz de Gustavo Pereira, el entisiasmo de “El Catire Enrique Hernández de Jesús, el tramite de Carlos Duque, de Christhiane Valles y de este jovén y con toda la emoción de los lectores Tobías y Juana dierón al mundo esta Joya.
    Gracias Tobías en nombre de los lectores y poetas del mundo

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