Lockdown-Lyrik 131: »e-learning« von Johann Kneißl

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Johann Kneißl

e-Learning

Ein Wettlauf entlang der Datenautobahn
DSL 16.000 Kbit – sechs Millisekunden
Übertagungsgeschwindigkeit
Langsamere haben sich umsonst
geschminkt und frisiert – müssen draußen warten
ohne zu reden und gesehen zu werden

Auch die Flugzeuge haben das Nachsehen –
müssen auf dem Boden bleiben
Autos entlang der Häuserzeilen
werden zu Stehfahrzeugen – verstauben
an sonnigen Frühlingstagen
Hunde wässern SUVs und Poser-Fahrzeuge

In der Videokonferenz serviert die Ehefrau dem
amerikanischen Sprachstudenten Kaffee
Hunde bellen am geöffneten Studierfenster
der litauischen Kardiologin
Der IT-Experte aus Brasilien muss schnell weg –
bringt müde Computerhirne zum Laufen
Die tunesische Juristin fliegt aus der Leitung
Kater Felix sitzt auf dem Schoß der Kroatin
Der Französin hängt ihr Sohn am Hals
Die griechische Straßenhündin Larissa liegt
dem österreichischen Moderator zu Füßen
Ein interkontinentales Klassenzimmer aus siebzehn
Ländern und Wohnstuben

 
© Johann Kneißl, Offenbach

 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

2 Kommentare

  1. Vielen Dank, Herr Kneißl, dass Sie die Bildung thematisieren. In der außerschulischen Erwachsenenbildung – nix Lockdown – wurde das Unterrichten mit zwei Tagen Vorlauf ‘online’, auch die Sprachlehre. Um so überraschender die positiven Nebeneffekte – auch angesichts dessen, dass man im Herbst wohl nicht, wie gehabt, zum ‘offline’ Unterricht zurückkehren können wird.

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