Selbst-Mord

von Lutz Rathenow

Ein zermailter Tag.
(Das Adjektiv lässt sich aktualisieren: zerzappt, zertwittert, ein verappter Tag –
das ließe dann an veräppelt denken.)
Er sitzt vor dem Computer und wartet auf die Rückkehr der Welt.
Ein schöner Satz.
Stimmt er auch? In Wahrheit hat er ja das Gefühl, sich vom Leben zu verabschieden, wenn er das Netz verlässt. Andere tragen es mit ihren kleinen mobilen Geräten weiter
in der Welt herum und in die Welt hinaus.
Für ihn ist die Rückkehr der Welt eher ihr Verschwinden. Ein scheußliches Gefühl,
jedes Mal beim Ausschalten in gewisser Weise zu sterben.

© Lutz Rathenow, Berlin

Illustration von Elisabeth Süß-Schwend zu »Selbst-Mord« von Lutz Rathenow

2 Kommentare

  1. Eine sehr schöne Beschreibung unserer gegenwärtigen Entwicklung. Es ist wahrscheinlich schwierig, mitzubekommen, ab wann man ‘addicted’ ist. Zumal das virtuelle Leben ja Teil vom wirklichen Leben ist. Vielleicht sollte man sich hin und wieder vorstellen, dass alle diese Geräte, Programme und Apps auf einen Schlag ausfallen. Wenn man dann noch irgendwie ohne vermehrte Aggressionen durch den Tag käme, könnte man vielleicht überleben. Vielleicht wird auch irgendwann aus Umweltgründen ein internetfreier Tag eingeführt. Dann müssen alle wieder mühsam lernen, sich beim Kommunizieren in die Augen zu schauen.
    Auch eine sehr treffende Illustration von Elisabeth Süß-Schwend.

  2. Ob man nun eher beim Ein- oder Ausschalten des Computers stirbt bzw. zu leben beginnt, das wird wohl Ansichtssache bleiben…

    Ich meine jedoch klar festgestellt zu haben, dass die Illustrationen von Frau Süß-Schwend auf diesem Blog besonders schön sind!

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