Markt und Marginal

(oder durch Brille eines Wirtschaftslehrelehrer betrachtet)

von Maik Lippert
 

Verspüren Sie ein existenzielles Bedürfnis nach Gedichten? Stehen bei Ihnen Lyrikzeitschriften und Gedichtbände ganz oben auf dem Einkaufzettel am Kühlschrank? Und wie viele zahlungskräftige Personen sind es denen es genauso so geht? Das ist das Einzige, was die auf Adam Smith zurückgehende Metapher der unsichtbaren Hand des ›freien‹ Marktes auf der so genannten Seite der Nachfrage meint.

Wenn der Markt der Treffpunkt von Angebot und Nachfrage, dann ist eine klare Arbeitsteilung vorausgesetzt. Es gibt Menschen, deren Beruf es ist eine bestimmtes Gut zu produzieren und anzubieten, und andere Menschen, die es nachfragen und konsumieren. Entweder Anbieter oder Nachfrager – Zwitterwesen kennt es nicht, das unsichtbare Händchen. Erst recht nicht Menschen, deren Profession »es ist heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren…« (Die deutsche Ideologie. Marx/Engels, MEW 3, S. 33, 1846/1932).

Da kannst du aufs Slams touren, Videoclips bei Youtube einstellen, »kauf mich« funktioniert nicht. Auch wenn es da immer wieder die einen oder anderen gibt, die getragen durch Einladung zu Lesungen in Literaturhäuser, Stipendien, Kindergeld u. ä. mehr vermeinen, sie wären nun endlich Erwerbslyriker. Wer zeitgenössisch Gedicht schreibt (jenseits von Sinnspruch und Sentiment, Popsong und Stegreifdichtung), bewegt sich gewollt ungewollt im Marginal oder pathetisch anarchistisch-marxistisch (d.h. völlig unzeitgemäß) gesprochen in der freien Assoziationen von Lyrikprodukonsumenten. Ein utopischer Zustand also, wer hält das aus?

 

Der 1966 in Erfurt geborene Lyriker Maik Lippert studierte von 1986 bis 1991 Ökonomie in Moskau und lebt heute in Berlin. Er mischt sich immer wieder mit kritischen Kommentaren in Debatten des Literaturbetriebs ein, dessen blinde Flecken er gerne sichtbar macht. Lippert wurde u. a. mit dem Wolfgang-Weyraczuh-Förderpreis der Stadt Darmstadt ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Band »Kochen für Saurier leicht gemacht. Gedichte und Lieder fürs robuste Kind. Mit Krakeleien zum Aus- und Weitermalen« (Hochroth Verlag, Berlin 2013).

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