»Mitten im prallen Leben« – lebensnahe Leitner-Gedichte auf Hochdeutsch, Bairisch und Englisch gelesen

ein Bericht von Jan-Eike Hornauer (Text und Fotos)

München. Dieser Abend war wahrlich seines Veranstaltungsortes würdig: Im Fremdspracheninstitut der Landeshauptstadt München (FIM) wurden am Donnerstag, 3. März 2016 im Rahmen der Reihe »Literatur im FIM« Gedichte von Anton G. Leitner gleich in fünf Sprachausprägungen vorgebracht, vor allem auf Hochdeutsch, Englisch und Bairisch, doch auch Mockney-Englisch und Schottisch kamen zum Tragen. Im gut besetzten Veranstaltungsraum (es hatten noch Stühle nachgeholt werden müssen) lauschten rund 50 Zuhörer den Leitner-Originalen und ihren Übertragungen. Und die Lernenden des Instituts hatten offenkundig großen Gefallen an dem Abend, wie das Lachen, der Applaus und die intensiven Nachfragen etlicher besonders Interessierter nach Ende des Programms bekundeten. Anton G. Leitner, Richard Dove, seines Zeichens, arrivierter Lyriker und Übersetzer sowie FIM-Dozent, und Institutsleiterin Gabriele Grojer können rundum zufrieden sein.

Übersetzte Gedichte »an sich unübersetzbar«

Dass dieser Abend so eigentlich gar nicht hätte stattfinden dürfen, machte Richard Dove wiederholt klar: Denn etliche der Verse seien »an sich unübersetzbar«. Schließlich arbeite Leitner gerne mit halsbrecherischen Zeilensprüngen, auch gerne mitten im Wort und bedeutungsvariierend, sei für diese ja berühmt. Und ob nun tiefer Ernst oder wilde Wortspielerei dahinterstecke, im Grunde sei ein Übersetzen hier immer wieder nicht möglich, man müsse »da eben andere Wege finden«. Kurzum: Leitner arbeitet so intensiv und im Detail mit der Sprache, lotet ihre Möglichkeiten und Brüche so intensiv aus, da geht immer wieder nur noch eines: Nachdichten, in einer anderen Sprache das nachempfinden und wieder ausdrücken, was in direkter Übersetzung nicht übertragen werden kann. Eine anspruchsvolle Aufgabe also, der sich Richard Dove gestellt hat, der den Großteil des Abends mit Anton G. Leitner gemeinsam bestritt und seine Nachbildungen der Leitner-Verse im Englischen vortrug. Und der zeigen wollte, was ein Gedicht durch Übertragung alles verliert – aber an anderer Stelle auch gewinnt. »Als Übersetzer habe ich nicht selten das Gefühl, in und mit den gewaltigen Abgründen, die sich bescheiden Zeilensprung nennen, unterzugehen«, beklagte Dove also zwar schon auch ernsthaft – konnte aber doch souverän beweisen, dass er am Ende der Herausforderung durchaus gewachsen ist.

Wilder Ritt durch ein halbes Lyrikerleben

Im Wechsel mit Leitner, der stets zunächst seine hochdeutschen Originale Vortrug, präsentierte Dove einen bilingualen wilden Ritt quer durch Leitners Lyrikerleben von 1984 bis jetzt. Der Schwerpunkt lag dabei auf kürzeren Gedichten und auf Humorvollem. Besonders aufschlussreich war hier ein kurzer Moment des Missverständnisses zwischen Dove und dem Publikum: Nachdem Leitner »Wieder hallo, das Kind« vorgetragen hatte, mit großem Schwung und das Publikum mitreißend, bemerkte Dove in vollem Ernst, dass dies Gedicht sehr komplex und kaum übertagbar sei – und die Zuhörer lachten spontan herzlich, als habe Dove einen besonders gelungenen Witz gerissen. Doch schnell verstanden sie, als Dove unbeirrt fortfuhr, dass es eben kein Witz gewesen war. Und in der Tat: So leichtfüßig dieser Leitner-Text eine gute Wirkung zu erzielen vermag, so verzwickt ist er doch, will man ihn im Detail durchsteigen. Und das muss man ja nun aber, will man ihn adäquat übersetzen. Das Leichte und Komische trifft hier auf das Schwierige und Komplexe (hier vor allem durch Wort- und Bezugsspielereien verursacht, nicht so sehr durch Zeilensprünge) – und eben das ist typisch für Leitner. Auch oberflächlich wirken seine Verse zumeist, doch man kann sich zugleich immer wieder problemlos fragend in ihnen verlieren.

Hier nun sein Kind-Gedicht von 2002 in voller Länge:

Wieder Hallo, das Kind schreit
Der Mutter die Mutter dem Vater
Das Kind schreit der Vater dem Kind
Aber das Kind schreit weiter Hallo
Papa Hallo Mama Hallo Hallo
Schreit der Papa zurück schreit
Die Mama Hallo aber Hallo schreit das
Kind Hallo Hallo ist ein Hall denkt der
Papa bin ich das Kind denkt das
Kind ich bin die Mama das Kind
Ist der Papa isst die Mama das Kind
Mit Haut und Haaren knurrt der Magen
Schreit das Kind im Bauch wieder
Hallo Hallo aber Hall oh ich muss
Mal sagt die Mama gebären sagt
Das Kind und Papa schaut zu und
Seilt sich wieder ab am Nabel die
Schnur reißt das Kind kann schon
Schreien mein Gott es schreit
Wirklich Hallo Hallo schreit die
Schwester wieder zurück das Kind
Schreit.
Die pralle Lebenswirklichkeit in Sprache gepresst

Dass es bei Leitner, wie Dove es ausdrückte, stets um die »sperrige, faszinierende Materialität der Sprache« und die »Reibung, die sie verursacht« geht, ließ sich auch im Bairisch-Hochdeutschen Abschlusspart des Abends nachvollziehen – und selbstredend ebenso, dass Leitners Poesie stets »mitten im prallen Leben« angesiedelt ist. Vielleicht ist das, dieses Aus-dem-Leben-gegriffen-Sein, ja auch ein Grund dafür, dass sie so vielsprachig funktioniert? Und ebenso ursächlich für die Tatsache, dass sie neben dem Hochdeutschen und Schulenglischen auch weitere Sprachbereiche für sich erobert, also bei Leitner selbst auch ins Bairische drängt, bei Dove zuweilen ins Mockney-Englisch vorstößt, den Heimatzungenschlag des aus der Nähe von Bristol stammenden Wahlmünchner-Briten, und von Bill Soutter, ebenfalls Dozent am FIM, ins Schottische gebracht wurde (ein entsprechendes Poem, »Belsen Betty«, die Übersetzung von » KaZedd-Rosl«, präsentierte für den leider verhinderten Soutter seine schottische FIM-Kollegin Dagmar Taylor)? Jedenfall stimmt: In Sprache und Thema ist bei Leitner oft Alltagsnähe gegeben, Tabus werden wenige beachtet, innerhalb von nur einer Zeile wird dabei gerne auch vom Privaten ins Politische, vom Konkreten ins Allgemeine gewechselt – und vielleicht gleich wieder zurück, und polternde Sprache und Sprachlosigkeit gehören zusammen, Sarkasmus und Feinfühligkeit geben sich die Klinke in die Hand. Ein gutes Beispiel liefert hier dieses Gedicht, verfasst 1985, zuletzt nachbearbeitet 2005:
Erste Semester

Was haben wir gezittert
Als deine Periode nicht kam
Und nicht kam und nicht kommen wollte
Jeden Tag vom Regen in die Traufe
Mit Gedanken an
Abtreibung in Bayern
Ist die Welt noch in Ordnung
Spricht der Landesvater
IN FRIEDEN UND FREIHEIT
IST LEBEN EIN UNVERZICHTBARER
BESTANDTEIL DER GEMEINSCHAFT
IM DIENSTE DES MENSCHEN
Wir hatten die Worte im Kopf
Und dachten klingt gut
Der Mann braucht Männer
Die einstehen für seine Werte
Im Ernstfall, der hilft uns
Sein Herz ist groß und schlägt
Für die Kinder im überfüllten
Hörsaal hast du gesagt
ICH BIN ZU JUNG und
MEIN BAUCH GEHÖRT
Gott, was konnte ich tun
Außer Abwarten und Abheben
Am Telefon deine Stimme
DER WÜRFEL IST
Geschertes Bairisch trifft auf antiquiertes Hochdeutsch

Die Alltagsnähe, das Lebenswirkliche findet natürlich in Leitners bairischen Verstexten besonderen Ausdruck. Und die übersetzt er selbst ins Hochdeutsche. Warum? Um verstanden zu werden, natürlich, über den Weißwurstäquator hinaus. Aber auch, um die Sprache so noch mehr als Stilmittel einsetzen, mit ihr spielen zu können. Sein Konzept: Er lässt »geschertes Bairisch«, das er auch als »Gossenbairisch« beschreibt, auf »antiquiertes Hochdeutsch«, auf bewusst gestelzte Sprache treffen. So geht also auch in seinen Eigenübertragungen, die in erster Linie Übersetzungen bleiben und nicht zu Parodien verkommen, stets etwas verloren und kommt doch auch immer etwas Neues hinzu. Was das nun konkret bedeuten soll? Nun, »Imma wenna Fuasboi schaugd« ist hier ein gutes Beispiel, hier ist in weiten Teilen eine große Nähe zum Original gegeben in der Hochdeutschen Übersetzung, aber in dem Moment der Schimpferei, da wird die besondere Komik im bairischen Original eben über die Derbheit des Dialekts, im hochdeutschen Nachbild hingegen über die Affektiertheit des Ausdrucks erreicht. Wie sehr dabei der urbayrische Dichter seiner süddeutschen Herkunft und Verwurzelung sowie der Nähe zum Original verpflichtet ist, zeigt sich schon in der Überschrift, die lautet: » Immer wenn er Fußball schaut«. Da wird nicht geguckt, nicht einmal gesehen, da wird – freilich – geschaut. So ein echter Bayer kann halt nicht aus seiner Haut. Und will es auch gar nicht. Spaß an der Camouflage hingegen hat er schon. Und seine Zuhörer haben selbigen auch, wie sich im FIM gezeigt hat.

Und nun, zum Abschluss noch, zwei bilinguale Beispiele, zum einen ein Leitner-Original von 1999 mitsamt Dove-Übertragung:
Amsel, Feld:
Schlacht ums nackte

Leben. Über
Leben. Wir. Die

Mehrheit. Schweigen.
Führen im Anzug

Krieg. Die
Krawatte zieht

Bomben. Sitzt
Die Manschette

Schief. Der
Kopf am Fall

Schirm. Brot für
Geld. Mangel

Erscheinung als
Heiliger Franz von

Habe Nichts
Zu verschenken.

Wo sind die
Russen kommen

Später. Vielleicht auf
Pump. Zählen bis zehn

Millionen Dollar. Sofort
Hilfe. Was das

Heißt: Kosten
Dämpfung. Alle

Aufgepaßt!
Es geht

Los.
Blackbird killing fields
Battle for bare

Vival. Sir
Vival. We. The

Majority. Silence.
Wage war

In our suits. Our
Ties drag

Bombs. Our
Cuff-links

Skew-whiff. Heads
Limp on plunging para-

chutes. Bread for
Cash. Vision

Of deficiency as
St. Francis of

Havenot-
Anything-to-give-away.

Where are the
Ruskies, coming

Later. Maybe on the
Never-never. Count to ten

Million dollars. Immediate
Aid. What that

Means: cost
Containment. Watch

Out you lot!
It’s

Starting.
Und zum anderen oben angesprochenes Leitner-Fußball-Poem von 2014 in seiner bairischen Originalfassung und seiner hochdeutschen Übersetzung:
Imma wenna Fuasboi schaugd

Brauchda need schwoassln
Dann langd eam sei bessare

Häifdn, de hellare Blonde
De Hoibe. Ab und zua

Schreida »Toooaa!« oda »Gruzinesn
Oida Loamsiada, greislicha!«

Sei Oide flaggd dawei alloa
Im Bedd und dramd scho vo

Am andan Mo, dea se need
Zuasaufd beim Boidreddn.
Immer wenn er Fußball schaut

Braucht er nicht zu schwitzen
Dann reicht ihm seine bessere

Hälfte, die hellere Blonde
Die Halbe. Ab und zu

Schreit er »Tooor!« oder »Verdammt
Du alte, angeranzte Trantüte!«

Seine Ehefrau wälzt sich inzwischen
Allein im Bett und träumt schon

Von einem Anderen, der sich
Nicht volllaufen lässt beim Balltreten.

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