Das Lyrikprojekt zur Lutherdekade im Themenjahr 2015
in Kooperation mit Anton G. Leitner | DAS GEDICHT
Markus Bundi
Tugend
Die Kuh hat es nicht eilig, mitten auf der Wiese
senkt sie den Kopf in eine Badewanne, trinkt
oder auch nicht. Dann hebt sie den Kopf, und die Kuh
steht auf der Wiese, wie sie zuvor dagestanden hat.
Seelenruhig frißt sie, das Gras läuft ihr nicht weg,
wie auch sie nicht weglaufen wird: Dafür ist die Kuh da.
Manchmal hebt sie den Schwanz, scheißt auf die Wiese –
und dann geht sie einige Schritte aus Scham.
Die Kuh aber ist heilig, denn sie macht Milch aus Gras.
Im Tanz der Fliegen sonnt sie ihr Euter, hält leise wieder-
käuend Ausschau, bis der alte Bauer kommt, sie anzapft
und erleichtert: für das nächsttägliche Wunder.
© Markus Bundi, geboren 1969 in Wettingen, lebt in Baden (Schweiz)
www.MarkusBundi.ch