Die begleitende Netz-Anthologie zu DAS GEDICHT 23,
zusammengestellt und ediert von Kerstin Hensel und Anton G. Leitner
Renate Schön
Der Katze abgeschaut
In Mutters Küche ist die Welt voll Ordnung.
Ich schleich mich ein, so oft es geht, stibitze,
was sich in den Schüsseln, zugedeckt, versteckt.
Und koste, ganz egal, mit Fingern, Händen, das,
was, je nachdem, mir besser oder minder schmeckt.
SIE kocht in höchstem Maß betörend. Ein
Goldfasan als menschlich hochgelobtes Wesen.
Das Trinken kann man sich dabei ersparen, weil
mit der Würze, die duftend sich verbreitet, im
Mund die Speichelfülle meine Lippen überschreitet.
Das Naschen ist ein diffiziles Unterfangen, ganz auf
Gefühle abgestimmt. Ich schätze jene Zeit, die mir zur
kleinen Missetat verbleibt. SIE wird es sicher merken,
doch ihre Nachsicht hat den Fehlbetrag in Ruhe
aufgefüllt, ihn überdeckt, in Küchendampf gehüllt.
© Renate Schön, Augsburg und Herrsching