Der Poesie-Talk – Folge 3: Leander Beil

Es muss nicht immer nur Schreiben sein – über manches lässt sich einfach am besten sprechen. Deshalb lassen wir am 20. eines jeden Monats Autorinnen und Autoren aus DAS GEDICHT zu Wort kommen. Timo Brandt unterhält sich mit ihnen über Gedicht und Welt, Profanes und Arkanes.

 

Leander Beil, geboren 1992 in München, lebt und studiert nach mehrjährigem Brasilienaufenthalt in München. Mitglied des Münchner Lyrik-Kollektivs »JuLy in der Stadt«. Erste Lyrikveröffentlichungen in »Drei Sandkörner wandern« (Deiningen, Verlag Steinmeier 2009), Versnetze 2/3 (hg. von Axel Kutsch, Weilerswist, Verlag Ralf Liebe 2009), NRhZ-Online (Literatur), »Die Hoffnung fährt schwarz« (München, Verlag Sankt Michaelsbund 2010), »Ois is easy« (München, Verlag Sankt Michaelsbund 2010), »Der deutsche Lyrikkalender 2012« (Boosstraat, Alhambra Publishing 2011), www.lyrikgarten.de (Online Anthologie des Anton G. Leitner Verlags), DAS GEDICHT Bd. 17, Bd. 18, Bd. 19, Bd. 22, Bd. 23 (Weßling, Anton G. Leitner Verlag), »Pausenpoesie« (Weßling, Anton G. Leitner Verlag 2015).

1. Seit einigen Jahren bist du regelmäßig in den Ausgaben von Das GEDICHT mit deinen Texten vertreten. Wie wurdest du auf die Zeitschrift aufmerksam? Wie kam es zur ersten Publikation dort?

Ehrlich gesagt, war es mein Vater, der mich darauf aufmerksam gemacht hat. Er war selbst früher mal Teil des Teams. Und da ich bereits seit einigen Jahren geschrieben hatte, dachte ich, auch ich könnte es mal mit einem meiner Gedichte versuchen. Und ich bin natürlich sehr glücklich, dass es damals geklappt hat.

2. Du schreibst außerdem auf dasgedichtblog.de eine regelmäßige Kolumne, die am 8ten des Monats erscheint und junge Dichter*innen vorstellt. Wie kam es dazu? Welchen Ehrgeiz oder welche Idee verbindest du mit diesen Texten? Wie findest du die Autor*innen?

Eine lustige Geschichte. Ich habe Anton gefragt, ob er mir Tipps geben könnte, wie die Arbeit mit so einem Blog aussieht. Und daraufhin hat er mir entgegnet, ich könne doch einfach mal ein Konzept entwickeln und das dann gerne auch auf dem DASGEDICHT-Blog umsetzen.

Die Idee war, ein nicht zu starres Konzept zu entwickeln und sich immer Freiheiten zu lassen, bestimmte Texte auch mal nur anzuschneiden. Doch die Grundvoraussetzung ist natürlich, interessante Texte junger Menschen zu bekommen.

Es fasziniert mich sehr, wie einfach sich die Suche nach Texten gestaltet. Sobald man anfängt, über Facebook Kontakt zu Schreibenden zu suchen, ist die Rückmeldung meist positiv. Wenn ich dann jemanden besprochen habe, frage ich meist nach, ob derjenige mir nicht noch einen anderen Lyriker/-in weiterempfehlen kann. Und so kommen immer Neue dazu.

3. Was liest du gerade? Oder welche Bücher liest du immer wieder?

Im Moment befasse ich mich mit Alexander Gumz’ »ausrücken mit modellen«. Seine Art von Naturlyrik sagt mir sehr zu. Generell lese ich aber viel Sarah Manguso, Ben Lerner oder Andre Rudolph.

Ein wahnsinnig faszinierender Lyriker ist meiner Meinung nach auch Carl-Christian Elze. Seine Sprache kann absolut überwältigend sein. Früher habe ich viel Tranströmer, Gustafsson oder Eich gelesen. Da lohnt sich immer mal wieder ein Blick, auch wenn da schon alles aufgelesen ist.

4. In deiner Vita ist von einem mehrjährigen Brasilienaufenthalt die Rede. Ist das ein Land mit dem du auf eine bestimmte Weise verbunden bist bzw. dich verbunden fühlst? Oder gab es andere Gründe?

Brasilien ist meine zweite Heimat. Ich glaube, die Menschen dort, ihre Art der Umgangsweise hat mir in vielerlei Hinsicht sehr geholfen. Ich war ein sehr schüchternes Kind. Und da hat mir die brasilianische Mentalität gut getan. Auch die Musikalität, der Rhythmus, der Bossa Nova – das sind Dinge, die ich nicht missen will. Und dann kommt noch diese wunderschöne Sprache dazu. Da braucht man manchmal gar keine Poesie.

5. Ein Motto der Zeitschrift »DAS GEDICHT« ist: »Poesie rettet den Tag«. Was für einen Ehrgeiz hast du in Bezug auf dein Schreiben? Was kann Lyrik deiner Ansicht nach bewirken, bewegen?

Für mich ist Lyrik nicht nur ein Ruhepol. Tolle Textpassagen, Pointen oder einzelne Wörter können für mich eine so große Kraft entwickeln, dass man überfallen wird – im positiven Sinne. Und das möchte auch ich bewirken. Dafür versuche ich, neue Arten des Schreibens zu entwickeln, Texte anders zu lesen. Ob das auch klappt, tja …

Grundsätzlich hat Lyrik für mich – besonders heutzutage – großes Potenzial. Keiner hat viel Zeit (bildet man sich zumindest ein) und jeder sehnt sich nach einer kurzen, schnellen Emotionsklimax. Ob das 20-minütige TV-Serien sind oder Gedichte. Ich finde das sollte funktionieren. Aber ich weiß auch, was der Lyrik da noch im Wege steht.

Leander Beil. Foto: DAS GEDICHT
Leander Beil. Foto: DAS GEDICHT

6. An was schreibst/arbeitest du zurzeit?

Zurzeit arbeite ich an einer Text-Reihe zum Thema »Utopie«. Hier geht es viel um den menschlichen Körper als Vorstellungs- und Projektionsraum. Generell versuche ich dabei, raumsoziologische Ansätze miteinzuarbeiten – und dabei neue poetisch-formelle Überlegungen umzusetzen.

In dem Zusammenhang: Mir gefällt zum Beispiel nicht, wie viele Lyriker sich der Groß- und Kleinschreibung entledigt haben, wie das lyrische Ich eingesetzt wird. Mir fehlt hier manchmal die bewusste Entscheidung für ein poetisches Mittel.

7. Wie würdest du reagieren, wenn man dir vorwerfen würde, nicht politisch genug in deinem Schreiben zu sein?

Wer will sich heute schon von einem Lyriker die politische Welt erklären lassen? Oder stellen wir die Frage grundsätzlicher: Wer lässt sich überhaupt noch von politischen Ansichten überzeugen, die nicht sowieso schon der eigenen Meinung entsprechen? In Filter-Bubble-Zeiten muss man sagen: Die Personen, die meine Texte überhaupt zu Gesicht bekommen, befinden sich sowieso schon in derselben politischen Blase wie ich.

Und doch würde ich gerade in diesem Zusammenhang mit einem Augenzwinkern behaupten: Zeitgenössische Lyrik ist politisch in höchstem Maße aktuell. Sie ist in gewisser Hinsicht postfaktisch (auch wenn ich das Wort hasse); sie will die Emotion, weg von der vermeintlichen Realität.

8. Wie gehst du beim Schreiben vor? Arbeitest du viel mit Notizen? Was inspiriert dich am meisten: ein sinnlicher Eindruck, ein gedanklicher Komplex, eine Begegnung, eine Leseerfahrung?

Für mich gehört da alles dazu. Ich arbeite mit Notizen, aber auch viel am Computer. Sehr wichtig ist es, andere Texte zu lesen, mit einem wachen lyrischen Auge. Das kann ein Zeitungstext sein, eine Überschrift, ein Inhaltsverzeichnis und natürlich auch ein Gedicht. Manchmal ist es auch nur das Textbild, das anregen kann.

9. Arbeitest du manchmal transdisziplinär, verknüpfst deine Texte in der Publikation oder bei Lesungen mit visuellen oder auditiven Adaptionen, Erweiterungen? Wenn ja, in welcher Hinsicht und was versprichst du dir davon?

Bei »July in der Stadt«, der Texter-Gruppe, der ich angehöre, haben wir bereits einiges in der Hinsicht probiert. Wir haben mit Musikteppichen gearbeitet, in Ausstellungen, in einer Zahnarztpraxis, einem laufenden Dönerladen gelesen. Wir haben uns räumlich bewegt, gegenseitig unsere Körper beim Lesen verändert und auch mit einer befreundeten französischen Dichter-Gemeinschaft zwischensprachliche Versuche gestartet.

Für mich war das alles sehr wertvoll. Das sind Versuche, etwas aufzubrechen, das eigentlich schon fertig aufgebrochen zu sein scheint.

10. Ein aktueller Text von Leander Beil:

Zwischen dazwischen / inmitten mittendrin einen Tisch gestellt,
eine Frage. Du lässt sie unbeantwortet und setzt dich.

Frisch gestrichene Wände ergießen sich in den Raum
und du weißt: Mit deinem Gähnen hast du noch

kein Zimmer gefüllt. Markiere Ecken, bepinkle,
bespuck, als hättest du deinen Staub noch nicht

in alle Fugen gepustet. Der Schutt, den du mitschleppst,
schnell abgelagert. Dein Dreck, deine Wandermoränen.

Inmitten mittendrin hat jemand Menschen verschoben,
Objekte gestellt. Sprechblasen verwachsen zu Gewitter-

wolken und du bist gefangen in deiner Superzelle.
Geteert und gefedert. Vogelfrei zwischen Tür und Angel,

zwischen dazwischen kurz Tschüss gesagt.
Kurz gesagt / das hat was von Raumsoziologie.

 

Timo Brandt
Timo Brandt

»Der Poesie-Talk« wird Ihnen von Timo Brandt (Jahrgang 1992) präsentiert. Er studiert derzeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien, am Institut für Sprachkunst. Er schreibt Lyrik und Essays, außerdem veröffentlicht er Literatur-Rezensionen auf seinem Blog lyrikpoemversgedicht.wordpress.com, Babelsprech.org und Amazon. Im Februar 2017 erschien sein Gedichtband »Enterhilfe fürs Universum« in der edition offenes feld. 2013 war er Preisträger beim Treffen junger Autoren.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Der Poesie-Talk« finden Sie hier.

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