Der Poesie-Talk – Folge 4: Tanja Dückers

Es muss nicht immer nur Schreiben sein – über manches lässt sich einfach am besten sprechen. Deshalb lassen wir am 20. eines jeden Monats Autorinnen und Autoren aus DAS GEDICHT zu Wort kommen. Timo Brandt unterhält sich mit ihnen über Gedicht und Welt, Profanes und Arkanes.

 

Tanja Dückers, geboren 1968 in West-Berlin, lebt und arbeitet als Schriftstellerin in Berlin. www.tanjadueckers.de

1. Seit einigen Jahren bist du regelmäßig in den Ausgaben von Das GEDICHT mit deinen Texten vertreten. Wie wurdest du auf die Zeitschrift aufmerksam? Wie kam es zur ersten Publikation dort?

Anton G. Leitner hat mich angesprochen. Mir haben aber auch das Konzept der Zeitschrift, das nicht nur auf Lyrik-Afficionados im engeren Sinne abzielt, sowie die Gestaltung gefallen.

2. Was zieht dich zur Lyrik, was fasziniert dich an ihr? Wie kamst du zum ersten Mal mit ihr in Berührung und wie kam es dazu, dass du selber Dichterin wurdest?

Wie so viele spätere Lyriker habe ich als Kind angefangen, Gedichte zu schreiben. Es gab keinen Moment, an dem ich bewusst angefangen habe, mich mit Lyrik zu beschäftigen, Lyrik gehörte immer zu meinem Leben dazu. Mir fällt auch jetzt als Mutter eines Sohnes auf, wie viel Spaß Kinder an Rhythmen und Reimen in der Sprache haben. In meinen ersten Gedichten reimte sich noch Haus auf Maus auf Nikolaus, später wurde es dann komplexer… Was mir an Lyrik sehr gefällt, ist wie sehr man jedes einzelne Wort, jede Silbe, jeden Buchstaben (schreibe ich »Hut« oder »Hüte«?) drehen und wenden muss. Man arbeitet ganz besonders gründlich und hingebungsvoll in der Lyrik, mit sprachlichen Atomen sozusagen. Mich hat immer sehr angesprochen, dass man in der Lyrik den einzelnen Moment, die kleine Begebenheit herausstellen kann, die in einem Roman eher unterzugehen droht.

3. Was liest du gerade? Oder welche Bücher liest du immer wieder?

Gerade lese ich J.D. Vance’ Bericht über sein Aufwachsen in einem verarmten und gewalttätigen Haushalt in Ohio. Ich war mehrfach länger in Ohio und habe schon als Schülerin im angrenzenden Bundesstaat Pennsylvania gelebt. Später habe ich Nordamerikastudien studiert. Derzeit arbeite ich an einem Roman, der sich mit der Zeit des Wahlkampfs in den USA und der Bevölkerung im rust belt beschäftigt.

Die letzten Gedichte, die ich neulich gelesen habe, waren von Lothar Quinkenstein – sein Band »Mitteleuropäische Zeit«, im vergangenen Jahr erschienen, unglaublich gut, auch mit Blick auf größere, gesellschaftliche Themen, ohne dick aufzutragen. Und ohne darüber die Poesie zu verlieren.

4. Du schreibst regelmäßig Kolumnen und essayistische Beiträge für die ZEIT-Online. Viele meiner Freund*innen werfen dem Blatt vor, in den letzten Jahren sehr viel neoliberaler geworden zu sein und einseitige Berichterstattung zu betreiben. Wie erlebst du (als Reporterin/als Autorin) die Entwicklung des Blattes und/oder der deutschen Presselandschaft allgemein?

Da ich keine neoliberalen Beiträge verfasse und meine Essays auch nicht in diese Richtung »umgebogen« werden, sehe ich zumindest für meine Texte nicht das Problem. Was ich überdies gut finde, ist, wie sich die ZEIT Online immer wieder in Fragen zu Geflüchteten äußert und sich gegen Rechts engagiert. – Ich schreibe für unterschiedliche Medien, u.a. auch nach wie vor für die Jungle World und manchmal für die taz. Für den »Straßenfeger« habe ich auch schon geschrieben.

5. Ein Motto der Zeitschrift DAS GEDICHT ist: »Poesie rettet den Tag«. Was für einen Ehrgeiz hast du in Bezug auf dein Schreiben? Was kann Lyrik, was können Worte deiner Ansicht nach bewirken, bewegen? Liegt in der Literatur eine Möglichkeit, soziale Gefüge zu stützen, zu stärken?

Das Motto von DAS GEDICHT ist schön und räumt mit dem Klischee auf, dass Schreiben zuvörderst eine therapeutische Angelegenheit oder etwas für melancholische Stunden ist. Das Wort »schnelllebige Zeit« kann ich nicht mehr hören, aber dennoch: mir gefällt das Anhalten der Zeit, das Innehalten und Überdenken beim Schreiben. Und natürlich überträgt sich dies auf den Leser, der auch inne hält. So etwas kann im Sinne einer Selbstreflektion zu einer kollektiven Reflektion und somit unter Umständen zu politischen Handeln führen, das muss aber nicht der Fall sein und hängt von zu vielen Umständen ab, um kalkulierbar zu sein. Und natürlich muss Literatur nicht politisch sein. Der Begriff »politisch« ist mir im Übrigen in Bezug die mögliche Wirkung der Literatur viel zu grob gefasst. Abhängig vom Land oder einer bestimmten Zeit können ganz verschiedene Texte als »politisch« oder als »subversiv« empfunden werden. Und sie können natürlich auf eine stille Weise begleiten, müssen nicht Radau machen.

Ich lehre ab und zu im Rahmen von Schreibwerkstätten, aber auch an Unis Kreatives Schreiben und finde, das Schreiben sollte wie die Musik (»Hausmusik«) einfach Teil des Lebens vieler Menschen, auch ohne professionellen Anspruch, sein dürfen.

Ich selber habe mir jedoch nie im Leben, auch nicht als Jugendliche, einen anderen Beruf als den der Schriftstellerin vorstellen können. Im Übrigen kann ich nichts Anderes. Höchstens Psychologin hätte ich noch werden können. Als Teenager hatte ich eine kurze Phase, in der ich meinte, ich müsste Richterin werden – meine moralische Phase. Aber nun kann ich ja solche Fragestellungen in meinen Texten erörtern…

6. Früher hast du sehr aktiv in der Poetry-Slam-Szene Berlins mitgewirkt. Wie und wieso kam es zum Bruch mit dieser Gattung/dieser Szene? Oder warum hast du mit dieser Form von Literatur aufgehört?

Es kam nicht zum Bruch, das klingt zu dramatisch. Ich habe einfach irgendwann immer seltener an Slams teilgenommen. Mich hat zunehmend gestört, dass bei den Texten so oft auf »Lacher« abgezielt wurde und es meistens darum ging, wer die besten Pointen macht, das Publikum zum Grölen bringt. Ich schreibe oft lange Texte, die Zeit brauchen, um sich zu entwickeln, ich habe nicht unbedingt fünf »knackige« Minuten für den zugespitzten Vortrag. Auch hat mich der Wettbewerbscharakter gestört – passt für mich nicht wirklich zu Literatur.

7. Auf deiner Website empfiehlst du unter »Was ich lese« u.a. auch »Die autoritäre Revolte« von Volker Weiß, ein Buch, von dem auch ich begeistert bin. Die darin vorgenommene Nachzeichnung und Offenlegung der Vernetzungen, Meinungen und Wurzeln der rechten Szene hat mich gleichzeitig auch sehr erschreckt. Wie gehst du mit dem Wissen um diese weitläufigen rechten Strukturen um?

»Die Autoritäre Revolte. Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes« von Volker Weiß ist ein ganz wichtiges Sachbuch, eines der besten der letzten Jahre für mich.

Neulich habe ich einen Vortrag über Rechtspopulismus und Kulturbetrieb gehalten, in dem ich auch auf Weiß eingehe. Gern möchte ich aus einem Vortrag von mir zu diesem Thema noch einen Essay machen.

Das Wissen um die fest in unserer Gesellschaft verankerten extrem rechten Gruppierungen hilft mir, politische Zusammenhänge zu betrachten ohne auf dem rechten Auge blind zu sein. Ich glaube, dass wir noch eine Welle rechtsextremen Terrors erleben werden, die der RAF in nichts nachstehen wird. Hier wurde von politischer Seite viel versäumt.

8. An was schreibst/arbeitest du zurzeit?

Den erwähnten USA-Roman, an neuen Gedichten, die oft in den USA angesiedelt sind, einem neuen Kinderbuch über Wut.

9. Eine kurze Analyse des zeitgenössischen deutschen Literaturbetriebs?

Der Literaturbetrieb hat sich nicht positiv entwickelt. Es wird viel zu oft nach Verkaufszahlen und bescheuerten Dingen wie Amazon Rankings gefragt. Ermüdend. Auch von Vertretern renommierter Verlage höre ich viel öfter als Lob über ein Buch, dass es »erfolgreich« sei und nicht dass es gut sei.

Preise wie der Deutsche Buchpreis führen zu einer Verengung der medialen Aufmerksamkeit. Allein die unseligen Listen (Short List und Long List) führen dazu, dass Titel, die nicht dem subjektiven Geschmack der gerade amtierenden Jury entsprechen, viel weniger Aufmerksamkeit erhalten. Die neuen Bücher, an denen die Autoren meist Jahre gesessen haben, werden gleich, bevor die Leser sich selber ein Urteil über sie bilden konnten, schon mit einem vermeintlichen Gütesiegel versehen oder auch nicht versehen – ganz schlechte Entwicklung.

Sehr negativ ist auch, dass der Betrieb Debütanten sehr fördert und dann erst wieder ab 70 plus das Lebenswerk ehrt. Dazwischen wird es schwieriger. In Deutschland veröffentlicht nur jeder zehnte Autor nach seinem Debüt noch ein zweites Buch. Dritte und vierte Bücher sind noch seltener. Jungen Schriftstellern wird zunächst suggeriert, sie könnten relativ mühelos ein Schriftstellerleben führen. Viele Stipendien werden aber z.B. nur bis zum Alter von 35 Jahren vergeben, auch eine sehr schlechte Idee. Ich habe 16 Bücher veröffentlicht – mit die meiste Aufmerksamkeit bekam ich für mein mit Abstand schlechtestes Buch, meinen ersten Roman.

Ein weiteres Problem ist, dass nach wie vor ein Gefälle zwischen Männern und Frauen im Literaturbetrieb besteht. Ich habe mehrere Vorträge darüber gehalten, die Zahlen, was Preisvergaben etc. angeht, sind erschütternd. In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation etwas verbessert, auch bei Preisen wie dem Nobelpreis, dem Prix Goncourt oder dem Pulitzer Preis, aber das Ungleichgewicht ist nach wie vor augenfällig. Auch wird nach wie vor in Rezensionen viel öfter über Privates und Äußerliches berichtet, wenn der Autor eine Frau ist. Oft werden auch bestimmte Themen eher männlichen Autoren »zugetraut«. Bei Autorinnen heißt es eher, sie hätten sich z.B. bei einem außenpolitischen Thema »verhoben« und ihre Liebesgeschichten seien doch gelungener gewesen, wohingegen der männliche Autor »mutig ein wichtiges Thema angeschnitten hat«.

10. Wie gehst du beim Schreiben vor? Arbeitest du viel mit Notizen? Was inspiriert dich am meisten: ein sinnlicher Eindruck, ein gedanklicher Komplex, eine Begegnung, eine Leseerfahrung?

Ja, ich mache mir ständig Notizen, zum Beispiel sammele ich seit Jahren Fehler in der deutschen Sprache, die Nicht-Muttersprachler machen – als Recherche für eine bestimmte Romanfigur. Ein Lieblingsausdruck: »Du glücklicher Pilz!« – statt: Du Glückspilz. Oft mache ich auch mit meinem Handy Fotos, um mir bestimmte Gegenden zu »notieren«. Ich kann nicht genau sagen, was bei mir die Leidenschaft für ein Thema auslöst. Ich weiß nur, dass die schöpferische Lust, die Freude am Text-Erschaffen eine der stärkten Lüste ist, die ich im Leben kennengelernt habe, sie steht der erotischen oder der kulinarischen Lust (ich bin bekennender Schokoholic) in nichts nach. Spannend finde ich immer wieder den Prozess, wenn aus der Lust die Last der konsequenten Textstrukturierung, des Löschens von Redundanzien und so weiter wird: Das Überarbeiten nimmt bei mir meist mehr Zeit ein als das Schreiben – da bin ich schnell drin, stolpere mir selber hinterher, doch dann folgt meist jahrelange harte Arbeit.

11. Arbeitest du manchmal transdisziplinär, verknüpfst deine Texte in der Publikation oder bei Lesungen mit visuellen oder auditiven Adaptionen, Erweiterungen? Wenn ja, in welcher Hinsicht und was versprichst du dir davon?

Ich habe eine CD (»Mehrsprachige Tomaten«) mit einem befreundeten Komponisten – Bertram Denzel, der u. A. für den Tatort komponiert, veröffentlicht – seine »Interpretationen« meiner Gedichte war so anregend für mich, dass ich daraufhin meine Gedichte nochmal umgeschrieben habe. So entstand für uns beide etwas Neues. Solch eine Arbeit empfinde ich als sehr gewinnbringend.

Im Moment trete ich des Öfteren mit der wunderbaren Sängerin und Akkordeonistin Annika von Trier auf – mit Texten aus meinem neuen Buch, in dem es um West-Berlin vor der Wende geht und Liedern von ihr. Das funktioniert sehr gut. Schade ist nur, dass viele Veranstalter nicht bereit sind, für zwei Künstler mehr Honorar als für einen einzelnen zu zahlen und ich, sofern ich mit Annika gemeinsam auftrete, dann meist einfach mein Honorar halbieren muss. Da würde ich mir vom Betrieb mehr Flexibilität und Offenheit für andere Formen als die klassische Wasserglas-Lesung wünschen.

12. Gibt es einen Tipp, einen Ratschlag, den du jungen Autor*innen geben würdest?

Betrachte die Resonanz des Betriebs auf Dein Schreiben, Deine Bücher nicht als allgemeingültiges Werturteil. Denke beim Schreiben niemals daran, was jemand anderes, gar ein Literaturkritiker oder ein Juror, über Dein Werk denken könnte. Niemals.

Glaube an Dich selber ohne ein überhöhtes Ego zu entwickeln.

Vergiss nie, was für ein Luxus es ist, in einer Zeit und in einem Land zu leben, in dem Du für das, was Du schreibst, nicht ins Gefängnis wandern musst. Das ist alles andere als selbstverständlich und kann sich auch hier wieder ändern.

 

Timo Brandt
Timo Brandt

»Der Poesie-Talk« wird Ihnen von Timo Brandt (Jahrgang 1992) präsentiert. Er studiert derzeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien, am Institut für Sprachkunst. Er schreibt Lyrik und Essays, außerdem veröffentlicht er Literatur-Rezensionen auf seinem Blog lyrikpoemversgedicht.wordpress.com, Babelsprech.org und Amazon. Im Februar 2017 erschien sein Gedichtband »Enterhilfe fürs Universum« in der edition offenes feld. 2013 war er Preisträger beim Treffen junger Autoren.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Der Poesie-Talk« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert