Die begleitende Netz-Anthologie zu DAS GEDICHT 22,
zusammengestellt und ediert von Anton G. Leitner und Hellmuth Opitz
Evelyn Fomm
Der Wecker
Ich bin nicht irgendwer: Ich bin der Wecker
Will heißen: Bin der Herr im Haus
Ich bin der Ding gewordene Erschrecker
Sobald ich meine Stimme schrill erhebe
Ist’s mit dem Nachtschlaf gründlich aus
Man kann mich stoppen, kneten, gegen Wände schmeißen
Doch ich bleib standhaft, grinse frech in meiner rundlich, silbrigen Statur
Du wälzt dich in den Laken, würdst gern mich in der Luft zerreißen
Ich lächle vornehm, denn ich weiß es besser:
Ich bin der Wecker und nicht irgendeine Uhr
Am Ende werden deine Triebe unterliegen
Wenn du mich jetzt noch wütend rüttelst
So weißt du doch genau: Es ist dein Über-Ich
Das du da so verzweifelt schüttelst
Ich bin dein Brötchengeber, bin dein Retter
Du hörst mich ungern, doch am Ende werd’ ich siegen
Sag nicht: Du gehst mir auf den Zeiger. Ich bin dein Wecker
Du wolltest es doch auch, du hast mich selbst gestellt
Das Lustprinzip versiegt bei meinem elektronischen Gemecker
Steh endlich auf, reib dir die Augen
Auf deine Taten wartet jetzt die ganze Welt!
© Evelyn Fomm, Frankfurt a. M.