»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Jan-Eike Hornauer
Moderner Held
Sie betritt ganz nackt das Zimmer.
Er ist voller Leidenschaft
– wie seit Wochen stets und immer –
bei der Arbeit, und er gafft
weiter in den Laptop rein.
Sie tritt näher zu ihm hin,
haucht ihm fröstelnd heiß herüber:
»Mir wird kalt, ganz furchtbar schlimm.«
»Zieh Dir halt was Warmes drüber«,
murmelt er zu ihrer Pein.
Sie zieht sich von ihm zurück,
Tränen netzen ihre Augen.
Er macht weiter Klick um Klick,
denn der Akt muss echt was taugen!
Lieber würd’ er bei ihr sein.
Weinend kriecht sie in die Kissen.
Glücklich kommt er später nach:
Ha, geschafft – und nicht geschmissen,
selbst als sie ihn unterbrach!
Sanft rutscht er ins Bett hinein.
Er will sie ja nun nicht wecken,
wecken zu so später Stund.
Gern würd’ er sie kuscheln, necken …
tät auch den Erfolg gern kund!
»Helden müssen einsam sein«,
flüstert er für sich allein,
lächelt und schläft selig ein.
© Jan-Eike Hornauer, München
+ Das Original
Mynona
Sonett Nr. 55
Mechthild ergötzt sich in der Badewanne
(Im Fraunverein Techtelmechthild genannt).
Ein rosenrahmger Spiegel an der Wand
Zeigt ihr den eignen Wuchs (schlank wie ’ne Tanne).
Versunken tief, in ihrer Schönheit Banne,
Vergißt sie, dass die Türe offen stand:
Herein tritt ihr Bedienter, in der Hand
Drei leckre Eier auf glasierter Pfanne;
Die stellt er auf ein Tischchen, Wein dazu.
Die Miene Jeans bleibt gänzlich ungerührt,
Er sagt preziös: »Die Gnädge sind bedient!«
Und geht hinaus (im Auge Seelenruh) –
Mechthild ißt nichts; eiskalt hat sie gespürt:
Er hat nicht mal (von fern auch nur) gegrient.
+ Zum Autor
Jan-Eike Hornauer, geboren 1979, lebt als freier Textzüchter (Autor, Herausgeber, Lektor und Texter) in München. In Lübeck auf die Welt geworfen, aufgewachsen in Hausen bei Aschaffenburg, Studium der Germanistik und Soziologie in Würzburg. Seine literarischen Schaffensschwerpunkte sind: Lyrik (u. a. komische Gedichte) und Kurzgeschichten unterschiedlichster Stimmungslage. Er ist zweiter Vorsitzender des Münchner Künstlervereins »Realtraum«. Zuletzt von ihm erschienen sind sein zweiter Solo-Lyrikband »Das Objekt ist beschädigt – zumeist komische Gedichte aus einer brüchigen Welt« (muc Verlag 2016) und »Wenn Liebe schwant«, eine Anthologie mit neuen komischen Liebesgedichten zeitgenössischer Poeten (muc Verlag 2017). Hier auf »DAS GEDICHT blog« hat er mehrere Online-Anthologien verantwortet, zu denen er auch je eigene Beiträge beigesteuert hat (u. a. »Wenn Liebe schwant III« und »Vom Leder gezogen – zur EM 2016 in Frankreich« sind hier zu nennen). www.Textzuechterei.de/autor.html
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.