»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Jan-Eike Hornauer
Soldatenlied
Ich krieche gern durch Schlamm und Dreck,
denn da genau gehör’ ich hin,
ja, Kriechen ist mein Lebenssinn,
und stünd’ ich aufrecht, wär’ er weg.
Kriecht,
vorwärts,
kriecht!
Und wenn ich stehe, dann nur stramm,
die Hände an der Hosennaht.
Ich liebe das, ich bin Soldat
und Disziplin ist mein Programm.
Still,
alle,
still!
Ich denke immer gar nichts mehr,
dann trifft mich folglich niemals Schuld.
Es lebe der Soldatenkult!
Denn ohne ihn, da wär’ ich leer.
Hoch,
Truppe,
hoch!
Und dann die Waffe in der Hand,
bestückt mit scharfer Munition,
und nur ein Zuck, dann kommt’s mir schon
– das ist des Glückes Unterpfand.
Schnell,
ach so
schnell!
Mein Leben, das ist die Armee,
und nur die Uniform mein Kleid.
Hier bin ich selbst von mir befreit,
und endlich tut mir nichts mehr weh.
Stark,
oh wie
stark!
Hier bin ich nichts, hier bin ich wer,
hier bin ich euer Kamerad.
Die Uniform gibt mir Format,
es lebe das Soldatenheer!
Sol-
daten-
heer!
Hier sind wir nichts, hier sind wir wer,
ja unser Bund gibt uns Format!
Wir sind so gern, so gern Soldat!
Denn gar nichts tut uns hier mehr weh.
Das Leben heißt für uns: Armee,
und unser Kleid stets: Uniform.
Sie bringt uns alle in die Norm,
die U—hu—huni—form.
Hier sind wir nichts, hier sind wir wer,
wir lieben das Soldatenheer,
Sol—daha—haten—heer!
© Jan-Eike Hornauer, München
+ Das Original
Vorbild ist hier insgesamt u. a. die Soldaten- und Kriegslyrik, wie sie im Zuge des ersten Weltkriegs entstand. Einer der prominentesten Dichter jener Zeit, überhaupt sowie auf diesem speziellen Propagandagebiet, war Richard Dehmel. Etwa mit »Deutschlands Fahnenlied« (vgl. auch
Folge 77 der »Gedichte mit Tradition«) oder mit seinem »Lied an alle«, das den konkreten Schreibanstoß für obiges »Soldatenlied« lieferte und nachfolgend wiedergegeben wird, glorifizierte er den Krieg und das Soldatentum, das möglichst die ganze Gesellschaft erfassen sollte, wahrhaft unsäglich. Bei ihm wird mörderisches Gemetzel zum Daseinszweck des Menschen, Krieg auf absurde Art religiös wie mythologisch überhöht. Dehmel, der mit 51 Jahren freiwillig zur Armee gegangen war, starb 1920 an den Folgen einer Venenentzündung, die er sich im Kriegseinsatz zugezogen hatte. Und nach zwei herrlichen Kriegen war Europa eine Trümmerlandschaft, seine Völker waren heruntergekommen, stark dezimiert, in vielfacher Hinsicht verarmt, von »heiliger Not« und »göttlichem Tod« wurde eher nicht mehr fabuliert.
Richard Dehmel
Lied an alle
Sei gesegnet, ernste Stunde,
die uns endlich stählern eint;
Frieden war in aller Munde,
lähmte Freund wie Feind –
jetzt kommt der Krieg,
der ehrliche Krieg!
Dumpfe Gier mit stumpfer Kralle
feilschte um Genuss und Pracht;
jetzt auf einmal ahnen alle,
was uns einzig selig macht –
jetzt kommt die Not,
die heilige Not!
Feurig wird nun Klarheit schweben
über Staub und Pulverdampf;
nicht ums Leben, nicht ums Leben
führt der Mensch den Lebenskampf –
stets kommt der Tod,
der göttliche Tod!
Gläubig greifen wir zur Wehre
für den Geist in unserm Blut;
Volk, tritt ein für seine Ehre,
Mensch, dein Glück heißt Opfermut –
dann kommt der Sieg,
der herrliche Sieg!
+ Zum Autor
Jan-Eike Hornauer, geboren 1979, lebt als freier Textzüchter (Autor, Herausgeber, Lektor und Texter) in München. In Lübeck auf die Welt geworfen, aufgewachsen in Hausen bei Aschaffenburg, Studium der Germanistik und Soziologie in Würzburg. Seine literarischen Schaffensschwerpunkte sind: Lyrik (u. a. komische Gedichte) und Kurzgeschichten unterschiedlichster Stimmungslage. Er ist zweiter Vorsitzender des Münchner Künstlervereins »Realtraum«. Zuletzt von ihm erschienen sind sein zweiter Solo-Lyrikband »Das Objekt ist beschädigt – zumeist komische Gedichte aus einer brüchigen Welt« (muc Verlag 2016) und »Wenn Liebe schwant«, eine Anthologie mit neuen komischen Liebesgedichten zeitgenössischer Poeten (muc Verlag 2017). Hier auf »DAS GEDICHT blog« hat er mehrere Online-Anthologien verantwortet, zu denen er auch je eigene Beiträge beigesteuert hat (u. a. »Wenn Liebe schwant III« und »Vom Leder gezogen – zur EM 2016 in Frankreich« sind hier zu nennen). www.Textzuechterei.de/autor.html
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.