Matsuo Bashō
Der alte Weiher:
Ein Frosch springt hinein.
Oh! Das Geräusch des Wassers.
Als Originalgedicht mag hier der wohl berühmteste Vertreter der weltbekannten japanischen Gedichtgattung Haiku dienen: Matsuo Bashōs Poem vom alten Weiher und dem Frosch aus dem 17. Jahrhundert – eines der wohl bedeutendsten Literaturstücke überhaupt, wenn man Verbreitung und Einfluss weltweit betrachtet.
Lienus Nguyen bezieht sich zwar auf die Gedichtform Haiku an sich und nicht ein einzelnes Lyrikstück, doch als Prototyp macht Bashōs Poem (das bis heute und damit auch für Gegenwartshaikus inhaltlich und formal idealtypisch ist) greifbar, worum es hier im Wechselspiel zwischen Vor- und Nachbild geht: Ist im Original die Natur der Betrachtungsgegenstand (und das ist sie im Haiku an sich bis heute) und wird die Betrachtung aus menschlicher Perspektive und für Menschen vorgenommen (wenngleich der Mensch selbst im Haiku nicht gezeigt wird, sondern lediglich wahrnimmt), so spielt der Mensch bei Nguyen gar keine Rolle (bzw. eine vollkommen zurückgenommene – schließlich schreibt hier immer noch ein Mensch für Menschen, wenngleich anderes vorgespiegelt wird), die Natur wird durch Technik ersetzt, das Mit- und Nachempfinden durch Aussage- und Gefühllosigkeit aufgrund der Unzugänglichkeit des Gedichtkorpus – der formal selbstredend die Haiku-Ansprüche erfüllt bzw. zumindest vorgibt, es zu tun (das japanische Schema »5 – 7 – 5 Moren« wird beibehalten; ins Deutsche wird »Moren« gerne als »Silben« übersetzt, auch wenn das nicht ganz hinkommt und man deswegen im Deutschen mit jenem Zahlenschema gerne auch etwas großzügiger umgeht; vielleicht sollte man am besten, auch wenn man Nguyens »Haiku for Androids« in Binärcodeanmutung mitberücksichtigt, bei Moren von Sinneinheiten – natürlich in abstrahierter Bedeutung – sprechen).
Bemerkenswert ist auch noch, dass Nguyens Haiku eine Überschrift trägt – auch damit hebt er sich von den klassischen Gattungsvertretern ab. Hinzu kommt: Dies ist die deutsche Fassung, es ist aber die Überschrift bewusst in Englisch, der Technik- und Welteinheits- sowie Zukunftssprache gehalten. Hierdurch funktioniert zudem ein Wortspiel schlicht besser: »Androids« verweist so zugleich auf Androiden, also menschenähnliche Robotergeschöpfe, als auch auf das verbreitetste Handy-Betriebssystem (das wiederum gerne mit dem Handy an sich gleichgesetzt wird, welches wiederum kaum mehr von seinem Benutzer zu trennen ist …).
Was letztlich bei Lienus Nguyen herauskommt: Etwas sehr Humorvolles und zugleich außerordentlich Dystopisches. Und auch damit wird der klassische Haiku wieder konterkariert, denn in ihm geht es um Frieden, Ruhe, Harmonie, Einklang.