Jubiläumsblog. Ein Vierteljahrhundert DAS GEDICHT
Folge 4: Anna Breitenbach – Der Mensch hinter der Dichterin

Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.

Anna Breitenbach, geboren 1952 bei Bebra/Hessen, Poetin, Künstlerin, lebt in Esslingen am Neckar und Elmo/Italien. Studium in Göttingen und Tübingen, Journalistenschule München, Rund­funk­reporterin, freie Autorin.

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www.annabreitenbach.de

Anna Breitenbach ist eine sehr vielseitige Künstlerin. Franziska Röchter befragte sie nach ihren Stärken und erfuhr nebenbei, was zu Breitenbachs größtem Glück zählt.

Ich bin nicht nur Schreibtischtäterin

Liebe Anna, du lebst an zwei Orten, nämlich in Esslingen und in Elmo/Italien. Wo bist du mehr zu Haus?

Schon in Esslingen, örtlich und zeitlich gesehen, aber herzlich gesehen viel und innig in Elmo, das eigentlich den klangvollen Namen: Elmo di Sorano hat.

Du bist eine sehr vielseitige Künstlerin. Wie hat sich das entwickelt, dass du verschiedene Bereiche der künstlerischen Gestaltung bespielst?

Ich habe schon früh in meinen Lesungen kleine Spielformen entwickelt, die Zuhörer einbezogen, dann Wort-Aktionen entwickelt. »Die Wortwaschmaschine« erfunden, »Die kleine Volksdruckerei«, »Das Schaufenstergedicht«. Ich bin nicht nur Schreibtischtäterin, sondern auch immer gern auf der Bühne oder in inszenierten Spielräumen, auch mit anderen Künstlern. Das fing mit Ausstellungen an: wort + bild, dann HolzSachen, poetische Objekte und ging weiter zum Poesiefilm, zu Performances und immer auch: poetry to go, auf Kalendern, Postkarten, Postern.

Wie bist du überhaupt mit Gedichten in Berührung gekommen?

Ich konnte die Gesamtausgabe Wilhelm Busch meiner Eltern fast auswendig. Und hab schon als Kind Gedichte in der Tonart geschrieben, auf ein Blöckchen, das ich noch habe.

Auch im Poetry Slam hast du dir einen Namen gemacht. Wie bist du dazu gekommen und verfolgst du das noch regelmäßig?

Ich kam 2009 mit meiner Tochter zu einem Slam in der Rosenau in Stuttgart. Da hab ich das so richtig in die Nase gekriegt, wie eine aufregende Spur, auch als Herausforderung offenbar. Im selben Jahr überraschte mich dann in Italien mein erster Slamtext. Und der musste ja ausprobiert werden. Also hab ich in myslam.de geschaut, als ich zurückkam: Wo ist der nächste Slam in der Gegend? Bin nach Tübingen gefahren, XXL-Café am Bahnhof. Und hab diesen ersten Slam prompt gewonnen. Und konnte nicht mehr aufhören damit. Inzwischen geh ich nur noch zu besonderen, interessanten Slams, nicht mehr so regelmäßig.

Anna Breitenbach. Foto: Werner Reichelt
Anna Breitenbach. Foto: Werner Reichelt

Wie wäre möglicherweise dein Leben verlaufen, wenn du überhaupt nicht und niemals mit Gedichten in Berührung gekommen wärest?

Wahrscheinlich hätt sich’s ›verlaufen‹! 😊 Nein, ich war in der 1. Klasse Grundschule schon sehr von den Wörtern angezogen, dass man sie aufschreiben konnte, dingfest machen auf Papier. Es waren die Wörter, später der Rhythmus, kleine feste Formen, dann auch das Fließende in der Prosa. Magisches Material, für mich.

Ich glaube immer noch an Wunder

Bist du ein gläubiger Mensch?

Ein gläubiger Mensch im Sinne: Ich glaube immer noch an Wunder. Ich glaube an Zauber, an Tricks und Magie, an die Kunst, die Poesie, an die Liebe und ans Glück auch.

Was hältst du für deine größte Stärke?

Stärken! – Das würde ich in den Plural setzen: Neugier und Spieltrieb, Schreiblust und Formtrieb, Einsatz und Ausdauer, Kampfgeist auch … und eine poetische Sehkraft, die mir für Gedichte und Fotos schöne Früchte bringt, wirklich vor die Füße legt.

Deine größte Schwäche?

Ich hab die Schwächen noch nie gemessen. Auch nicht aufgeschrieben. Vielleicht Verführbarkeit, mangelnde Geduld – es sei denn es geht um Gedichte, Texte, da kann ich senza fine dranbleiben – eine Reizbarkeit bei anhaltender Reizarmut, wenn ich der ausgesetzt bin = langweilige Sachen, Leute.

Was fehlt dir zu deinem größten Glück?

Glück ist doch auch nicht messbar. Das Größte doch eh schon, hin und wieder welches zu haben.

»Man kann doch schon von Glück sagen, wenn es bei einem mal kurz vorbeigekommen ist …« (aus »Haus und Hof, Sachen, Leute. Brauchbare Gedichte«).

Wo siehst du dich in 5 Jahren, persönlich und literarisch?

In Italien, sehr persönlich und literarisch: schwer produktiv.

Das Gedicht stärkt: die Widerstandskraft

Engagierst du dich politisch, wenn ja, wie?

Ich engagiere mich poetisch politisch. Ich arbeite im Widerstand. Ich schreibe Gedichte, verbreite sie, lese sie öffentlich. Poesie ist auch eine Form von »guerrilla gardening«, Tag und Nacht.

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https://www.youtube.com/watch?v=fOtE7C0v1Pc

»Eine poetische Infusion stärkt das Immunsystem gegen das Böse, das Hässliche, das Habgierige, Gewalttätige, das Zerstörerische – allen macht- und profitgeilen Übermächten zum Trotz. Das Gedicht stärkt: die Widerstandskraft. / Es hält in sich ›etwas Gutes‹ für uns fest. Trotz allen schlechten Nachrichten, Katastrophen bis Kriegen. Eine hoffnungsvolle Botschaft – haltbar, ohne Verfall. An d a s Gute glaube ich, so was wie eine Wahrheit, ein weder politisch noch kapitalistisch missbrauchbarer, korrumpierbarer Wert.« (Aus meinem Essay: »Der einfache Ansatz«).

Wenn du für nächsten Sonntag eine Predigt halten müsstest, worüber würdest du diese schreiben?

Ich würde und wollte keine Predigt halten und also auch keine schreiben. Bin keine für die Kanzel, Bühne ja! und überhaupt »keine für Vereine«, wie es in einem Gedicht von mir heißt.

Liebe Anna, vielen Dank!
 

Anna Breitenbach: Meine Handtasche

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https://youtu.be/ilaPXzZ7uOs

Video © Aveleen Avide, 2016
 

Text aus:

Anna Breitenbach: Haus und Hof, Sachen, Leute. Brauchbare Gedichte Anna Breitenbach
Haus und Hof, Sachen, Leute
 

Brauchbare Gedichte
Klöpfer & Meyer, Tübingen 2016
ISBN 9783863515201


 

Franziska Röchter. Foto: Volker Derlath

Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.


Die »Internationale Jubiläumslesung mit 60 Poetinnen und Poeten« zur Premiere des 25. Jahrgangs von DAS GEDICHT (»Religion im Gedicht«) ist eine Veranstaltung von Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Mit Unterstützung der Stiftung Literaturhaus. Medienpartner: Bayern 2.

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Literaturhaus München


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