von Jörg Neugebauer, Neu-Ulm
Lyrik ist doch die wirkliche Sprache. Hier wird nichts benannt, nichts bewertet, nicht ›informiert‹. Das lyrische Sprechen geschieht beiseite, wie es der verstorbene Werner Dürrson genannt hat. Dabei geht der Blick ebendorthin, der des lyrisch Sprechenden und der Blick dessen, der hört. Und hören muss man, nicht lediglich lesen. Der Klang der Leier braucht Stimme und Ohren. Denn Klang ist er vor allem andern. Rhythmus, bedeutungstragender Laut. Aber es wird nichts bedeutet, der Hörer weiß, ohne zu wissen. So wie jener, der schrieb.
Zitat: Lyrik ist doch die wirkliche Sprache. Hier wird nichts benannt, nichts bewertet, nicht ›informiert‹.
Dieser schön formulierte Satz kommt mir bekannt vor! Ich kenne viele, gerade zeitgenössische Gedichte, auf die diese Poetik zutrifft. Er benennt e i n e Möglichkeit, Lyrik zu schreiben. Der Satz darf aber nicht als Verbot aufgefasst werden für Lyrik, die ihm nicht zuzuordnen ist. Es gibt und vor allem: es gab immer auch andere Gedichte. Und meine Meinung ist: Es muss sie sogar geben, ja: sie würden dringend in größerer Zahl gebraucht.
Die derzeit weitgehende Abwesenheit von Gattungen, die sehr wohl – historisch gesehen sogar oft genug vehement, manchmal auch allzu vehement (Heine, Fried, Brecht, Kästner u.v.a.m.) – benennen, bewerten und informieren, tut nicht gut. Das politische Gedicht etwa oder das Lehrgedicht oder auch das “schneidige” Epigramm sind heute große Ausnahmeerscheinungen!
Damit sind anderen Deutern Tor und Tür geöffnet, die Meinungshoheit zu übernehmen, die keineswegs besser sein müssen. Die Lyrik bleibt letztlich wirkungslos, die Gesellschaft verdummt. Und das geschieht bereits in großem Stil. Zumal es ein Irrtum ist, zu glauben, Gedichte, wenn sie denn überhaupt gelesen werden, würden noch interpretiert. Auch diese Zeiten sind weitgehend vorüber. Wer hat dazu noch Zeit und Geduld-?
Völlig einverstanden, das Statement soll auch nichts ausgrenzen – Heine, Brecht usw., wer wollte sie missen? Es soll eher ein Plädoyer sein für Lyrik als Klang, für das gesprochene, vorgetragene Gedicht, das Gedicht „als Hör-Ereignis“, wenn man so will. Das betrifft keineswegs nur die sogenannten „Lautgedichte“, es betrifft die klanglich-rhythmische Dimension jedes Gedichts. Dass da – gerade derzeit – ruhig öfter mal was Aufmüpfiges drinstehen dürfte, ist unbestritten.
Ihr Statement besteht, so wie ich es verstanden habe, aus einer interessanten Kombination von vor allem zwei Punkten, einem mehr inhaltlichen über das Wesen der Lyrik und einen mehr formalen über ihre akustische Dimension. Bei Letzterem bin ich in besonderer Weise mit Ihnen einig, bin selbst sehr stark durch die Musik geprägt, an Multimedialität und mehr “Aufführungspraxis” für mich selbst interessiert. Zur Steigerung der klanglichen Schönheit, das füge ich hinzu, ist für mich auch der Reim nicht von gestern! Bei dem Punkt, auf den ich schon einging, möchte ich noch hinzufügen: Brecht, Fried, Heine u.a., die wir nicht missen wollen, gingen auf die gesellschaftlichen Probleme ihrer Zeit ein. Wo aber sind ihre Nachfolger, die selbiges in dieser Klarheit und Dezidiertheit für unsere Zeit leisten? Sie scheinen mir rar gesät….Wer schreibt etwa über den Klimawandel? (Nur mal so eine Idee, gilt ja eigentlich als ein gewisses Problem…)
Ja, “Aufführungspraxis” – das ist mir vertraut, von daher kam es zu meinem Statement. Der lyrische Text kommt sozusagen erst zu sich selbst in seiner Entäußerung, der Selbstöffnung von Innen nach Außen. Und Reim? Darf schon sein – wenn’s passt und wenn dadurch dem Text qualitativ etwas hinzugefügt wird. Eine Prise Ironie wird heutzutage immer mit im Spiel sein, selbst in den ernstesten Kontexten, der Reim als lyrisches Mittel hat inzwischen stets eine – zumindest leicht – ironische Dimension. Ach so – Klimawandel und andere große Probleme unserer Zeit und der Zukunft….Sie haben recht, man sollte sich das einmal vornehmen, sich regelrecht dazu zwingen.