»Schatten auf dem Weg durch den Bernsteinwald« von Wolfgang Hermann

rezensiert von David Westphal

Wolfgang Hermann hat nach vielen Jahren wieder einen Gedichtband mit langem Titel veröffentlicht: Schatten auf dem Weg durch den Bernsteinwald. 2013 erschienen im österreichischen Limbus-Verlag, tritt der 120 Seiten starke Band in gebundener Ausgabe mit Lesebändchen auf. Der unscheinbare Druck auf dem Einband, der durchaus ansprechend ist, täuscht allerdings über die Leuchtkraft der darin enthaltenen Gedichte hinweg, wenngleich in blassem Gelb und dezentem Rot gehaltene Sternformen durchaus an Sonnen erinnern und nur unsere liebe Sonne es vermag, Schatten auf einen Weg zu werfen.

Der Weg, von dem im Titel die Rede ist, muss als programmatisch für das Buch gesehen werden. Am Anfang des Weges steht eine kurze Inschrift, die zwar nicht unmittelbar hilfreich ist, um den richtigen Weg durch den Bernsteinwald zu finden, doch im Nachhinein macht alles einen Sinn. Es ist die Rede davon, dass alles Schwingung ist und das lyrische Ich die Dinge mit »Gedankenmaschinen« durchdringen möchte, um dem Vergangenen zum Weiterbestehen zu verhelfen, ohne es zu materialisieren. Das klingt sehr kryptisch, doch die Gedankenmaschinen sind die darauf folgenden Gedichte – oder zumindest setzen sie unsere Gedankenmaschine in Gang! Was ist damit gemeint?

Zunächst einmal führt der Weg durch neun Kapitel. Ungewöhnlich verhalten wird man auf die Titel der Kapitel aufmerksam gemacht, gleichzeitig unnachgiebig sind sie immer präsent, denn die Titel nehmen keine eigene Seite in Anspruch, sondern sind in kleiner Schrift am oberen Rand vorzufinden und lassen einen nie vergessen, welches vorübergehende Leitmotiv gerade herrscht. Nach der etwas verworrenen Einleitung kommen die drei Kapitel »Winterliche Stadt«, »Sommernebel« und »Ockergelbe Tage«. Allein die Wahl der Titel deutet auf einen Jahreszyklus hin. Dieser Zyklus hält sich allerdings nicht mit Naturschilderungen im engeren Sinne auf, sondern die Jahreszeiten werden zum Begleiter des lyrischen Ichs und das Jahr selbst zur Allegorie auf dessen Leben.

Der Winter führt das Ich durch beengende Orte wie die U-Bahn, er macht Straßen zu Gefängnissen und verwandelt mithilfe von Nebelschwaden die Stadt in ein Trümmerfeld. Gleichermaßen drückt die Welt auf das Gemüt des Ichs: »Dennoch möchte ich / nicht wiederkommen / bei der Zuteilung neuer Leben / werde ich fehlen«. Dann braust der »Sommernebel« und aus »dem Hinterland / holt die Stille / den Sturm«. Ebenso drängend zeugen die folgenden Gedichte von einem Stürmen in diesem Menschen selbst. Er verreist, macht Ausflüge in Wälder und auf Berge, doch zwischen drin bleiben kurze Momente des In-sich-Gehens und das Ich vergisst sein »Leben in der Stadt / war nur Hauch« und das »Bild seines Lebens« verändert sich »hin zum Leben in ihm«.

Nach den Ockergelben Tagen bricht der Jahreszyklus und die Gedichte nehmen Fahrt auf zu einer unaufdringlichen Reise in die Verflechtungen einer Person, der das Leben offenbar nicht immer zu Gunsten war. Unaufdringlich, da die Gedichte im allgemeinen gerade keine lauten und präzisen Maschinen sind, sondern vielmehr die Blaupausen davon. Hie und da wird eine Geschichte erzählt und der Leser schreitet den Weg des lyrischen Ichs entlang, doch insgesamt wird gerade so viel gesagt, um dem Leser die Art und Weise der Materialisierung zu überlassen.

Der Kreislauf des Lebens, auf den bereits die Allegorie des Jahreszykluses hinweist, endet mit dem Versuch kein Kreisel zu sein (»Sie sagen ich soll kein Kreisel sein«) und der Draufsicht auf ein Kind, dass noch sein ganzes Leben vor sich hat und doch: »Nichts wird bleiben«.

Rundum zeigt Hermann, wie mit präzis gewählter Sprache eine ebenso behutsame wie auch tiefgründige Reise- und Wegmetapher aufrecht erhalten werden kann, die an jeder Stelle überzeugt und durch gewollte Vielschichtigkeit große Überraschungen beim Wiederlesen bereit hält! Was jedoch nicht vergessen werden darf ist, dass zum einen nicht jeder Weg für jeden geeignet ist, so ist auch das Buch nicht für jeden – das ist aber keineswegs eine Disqualifikation! Es benötigt eben einen sehr aktiven Leser und nicht unbedingt einen Sonntagsspaziergänger. Zum anderen besteht ein Weg immer auch aus unscheinbaren und scheinbar unbedeutenden Abschnitten. Aber nur alle Abschnitte zusammen ergeben das Ganze und darin liegt die Stärke der zielstrebigen Gedichte auf dem Weg durch den Bernsteinwald.

Wolfgang Hermann  Schatten auf dem Weg durch den Bernsteinwald. GedichteWolfgang Hermann
»Schatten auf dem Weg durch den Bernsteinwald. Gedichte«

Limbus , Innsbruck 2013
Hardcover, 119 S.
€ 10,00 (D)

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