Sinnliche Lyrik, Folge 6: »gehe für alles sehr weit« von Frieda Paris

Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.


Frieda Paris


64 gehe für alles sehr weit, Für dieses
Lächeln mußte ich / stunden-
lang durch die Gärten gehen
(Silke Scheuermann)

an dieser Stelle habe ich mich vertippt, schrieb
stundenland

denke an Celans Vokabular, sehe nach, ob Wörter
mit Stunden-
beginnen

wieder schieben sich
Margeriten ins Bild (R1)

V1 schwarze
Büroklammern

(grüner Filzstift)

die Gegensätzlichkeit von Rückseite
und Notiz auf der Vorderseite

dass sich jene Unvereinbarkeiten,
Blumen und Büroklammern,
bereits in den Vorstufen abzeichnen
und später in den Texten
Friederike Mayröckers

ich nenne das Zusammenspiel von R und V
entrückte Verknüpfungen
als wären ihre Sätze, eine Auffädelung an
Vorder- und Rückseiten (wie Fahnen im Wind),
in beide Richtungen geschrieben,
als gäben sie sich durch vielerlei Ebenen die Hand

lege dann die Wörter an wie Dominosteine bis 1 langes vielgliedriges
Gebilde entsteht das mich mit Vergnügen erfüllt : plaisir usw. (FM)

alles ist bereits zerfetzt, der Schreibprozess
von Anfang mehrspurig (DOMINO)

in der Lektüre erfahren wir jene
Verknüpfungen als bizarre Nachbarschaften,
lineare Kompositionen
(Eugen Gomringer)

für dieses Handgeben, für alle ihre Nachbarschaften
sind die R und V im Entstehungsprozess
ihrer Texte Vorbedingung, Vorboten

an dieser Stelle bin ich

jetzt am tiefsten Punkt

im NACHWASSER

Wer zieht mich raus?


Auszug aus: »Nachwasser«, Voland & Quist, Edition Azur 2024

© Frieda Paris (Wien)


Zur Autorin:
Frieda Paris, geboren 1986 in Ulm. Abitur und Gesellin zur Damenschneiderin in Wald. Seit 2010 lebt sie in Wien. Dort studierte sie Theater,- Film und Medienwissenschaft sowie Sprachkunst. Paris entwickelt Hörspiele (zuletzt »Herzbefellt, ein Nachrufen«, Deutschlandfunk Kultur 2022) und Gedichte, immer nah am Material. Regelmäßig kuratiert und moderiert sie Lesungen. 2020 war sie Finalistin beim 28. Open Mike. »Nachwasser«, diesen März erschienen in der Edition Azur von Voland & Quist, ist ihr Debüt.


Sophia Lunra Schnack (Foto: Walter Pobaschnig)

Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.

Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist kürzlich bei Otto Müller erschienen. Momentan Arbeit an der Kurzprosasammlung »Worte wie Mandelblüte« sowie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.

www.sophialunraschnack.com



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