Sinnliche Lyrik, Folge 7: Sommerfeelingsgedichte über ein Urlaubspaar am Strand von Michael Stavarič

Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.


Michael Stavarič


1.

Wir haben eine Jukebox zum Strand getragen und Muschelgeld eingeworfen,
Pfahlmuscheln schienen dafür am wenigsten geeignet. Die Gischt ließ schon bald

alle Anzeigen verschwimmen, während wir herumliefen, um möglichst runde Muscheln
aufzuheben, Flachschnecken, wie du sie riefst. Aus der Ferne sahst du wie eine der

Möwen aus, die im Rhythmus der Brandung auf das Meer zu- und von ihm weglief. Du
hattest dich deiner Kleidung entledigt, was bei mir allmählich den Eindruck erweckte,

dass ich vollkommen daneben lag: Du warst nie eine Möwe gewesen! Später summten
wir Lieder, die wir eigentlich der Jukebox hätten entlocken wollen: I believe in miracles

since you came along, you sexy thing! Das Leuchtfeuer der nahen Landzunge beschwor
ein hypnotisches Schauspiel: Alle Insekten der Gegend waren Party. Du liefst zu ihnen,

bald schon wart ihr am Tanzen, während sich die Moskitos aufmachten, mein Blut zu
kosten: Where did you come from, angel, how did you know I’d be the one? Das mit der

Jukebox sei eine meiner besten Ideen gewesen, brülltest du, die Luft wimmelte nur so
vor Anzüglichkeiten.


2.

Dein Atem roch nach Tequilla und einer anderen Sache, bei der ich mir nie sicher war.
Erotische Kunst schien mir noch die passendste Zuschreibung darzustellen. Deinen

Drink hattest du mit Zimt garniert, mit einem Biss in ein Orangenstück besiegelt.
Beschwippst hast du herumposaunt, ich sei eine Ameise, die gleich über den Mund

einer Göttin krabbelt. Everyone’s a winner, baby, that’s the truth, making love to you is
such a thrill.
Aus dem Wasserhahn im Zimmer nebenan strömte der Ozean. Ich dürfe

niemals vergessen, ihn ordentlich zuzudrehen, sonst sei es mit dem geregelten Leben
schlagartig vorbei. Einmal nur hättest du es verabsäumt, wärst nach einer Hot Chocolate

in der Badewanne eingepennt. Bis dich die ersten Wellen aufschreckten. Seltsam
anmutende Fische schwammen zwischen deinen Beinen, kleine Flundern und

noch kleinere Zackenbarsche. Ein Krakenarm schoss aus dem Abfluss hervor und saugte
sich an einem der Unterschenkel fest. Weitere Tentakel legten sich in deinen Schritt. Du

hättest kurz aufgelacht, weil es kitzelte. Du hörtest Geräusche in den Wänden, als
würden sich Riffhaie durch die alten Rohre zwängen, um dir ebenfalls Gesellschaft zu

leisten. Den Fuchshai mochtest du am liebsten, der habe die längste Schwanzflosse von
allen.


3.

Du hast mich gerufen, ich solle schnell kommen, während der Shopping-Kanal lief, der
Geruch des Fernsehers ließ allerdings auf einen baldigen Kabelbrand schließen.

Gwyneth Paltrow verkaufte gerade ihre Duftkerzen – äußerst erfolgreich, das musste
man der Frau lassen. This one smells like my orgasm, lächelte sie. Es blieb unser Satz des

Monats Dezember. Noten von Grapefruit, Neroli und türkischer Rose. Eine offenbar noch
wohlriechendere Kerze namens This one smells like my vagina war längst ausverkauft.

Wir wussten nicht, ob wir uns darüber freuen sollten. Mir kam die Idee, das Wasser des
Ozeans vor fünfunddreißig Jahren anzubieten, das Meer roch früher schlicht besser. Ein

kurzes Telefongespräch mit einem benachbarten Chemiker untermauerte meine These.
Wer hätte gedacht, dass das unsachgemäße Befüllen eines damals noch blutjungen

Wasserbettes eine Wertanlage hätte darstellen können. Ohne das Wasserbett wäre ich nie bei
dir eingezogen, flüstertest du, während du rücklings aufschlugst. Ich fiel dir hinterher.

Gwyneth Paltrow würden vor Freude darüber bestimmt Kiemen wachsen. Oder eine
zweite Vagina, meintest du lapidar.


4.

Der Ozean ließ eine Rotlichtmeile aus Krustentieren aufmarschieren, die uns alle
Wünsche erfüllen sollten. Manche Langusten nannten sich Smokey Eyes, andere Flexi

Dolls. Wir schüttelten die Köpfe und hielten das für einen Anfängerfehler, viel zu
offensichtlich. Die Naivität des Ozeans nahm kein Ende, als seine Wellen aus dem Stand

heraus einen Cancan tanzten. Manche Wellenkämme trugen Namenskärtchen
berühmter Tänzerinnen, wie Camélia Trompe-la-Mort oder Pomme d’Amour. Du hast

mir lieber die Augen verbunden in Anbetracht der vielen entblößten Kurven. Die Leute
kamen in Scharen. Du sprachst das Wort »Dickicht« dermaßen frivol aus, dass einige der

Besucherinnen auf der Stelle ohnmächtig wurden. Irgendwer meinte, den schönsten
Hintern von allen, hätten die Knallfrösche. Dabei waren die schon im vorigen

Jahrhundert ausgestorben. Die meisten Krabbenmädchen wurden von Strandvögeln
aufgeklärt. Fast alle Stelldicheins beließen es jedoch bei harmlosen

Naturbeobachtungen. Eine Kegelschnecke bat dich äußerst höflich um etwas Lipgloss
und Mascara.

© Michael Stavarič, Wien (Österreich)


Zum Autor:
Michael Stavarič, geboren 1972 im tschechischen Brünn, lebt als freier Schriftsteller, Übersetzer und Dozent in Wien. Zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen, u. a. Adelbert-­von-Chamisso-­Preis (2012), Österreichischer Staatspreis für Kinder­ und Jugend­literatur (2007 und 2012) sowie Hohenemser Literaturpreis (2008, gemeinsam mit Agnieszka Piwowarska).

Zuletzt erschie­nen: der Roman »Phantom« (Luchterhand, 2023), der Gedichtband »Die Suche nach dem Ende der Dunkelheit« (Limbus, 2023) und das Kindersachbuch »Faszination Haie« (Leykam, 2024).


Sophia Lunra Schnack (Foto: Walter Pobaschnig)

Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.

Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist kürzlich bei Otto Müller erschienen. Momentan Arbeit an der Kurzprosasammlung »Worte wie Mandelblüte« sowie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.

www.sophialunraschnack.com



Alle bereits erschienenen Folgen von »Sinnliche Lyrik« finden Sie hier.



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