eine Buchkritik von Ulrich Johannes Beil
Mit »In alternder Luft« meldet er sich also wieder zu Wort, Wolfram Malte Fues, der deutsch-schweizerische Poeta doctus aus Basel, der auch Literaturprofessor (gewesen) ist, und Denker, Essayist, der sich, statt im Elfenbeinturm zu verharren, immer wieder politisch eingemischt und Stellung bezogen hat: zu Islamismus, Ökologie, Ausbeutungen aller Art. Vor kurzem hat er auch ein Magnum Opus über den »universellen Intellektuellen« vorgelegt, so kritisch wie pfiffig, und er zeigt darin nicht zuletzt, dass es auch heute noch Leute gibt, die Hegel lesen und sogar anwenden können.
Wenn man Fues in seinen theoretischen Schriften als kritischen Rationalisten, als späten Linkshegelianer kennengelernt hat, so mag man sich nicht wenig wundern über Fues in seiner anderen, intimeren Rolle: in seinem Leben als Poet. Man glaubt ihn dann kaum wiederzuerkennen. Denn hier hat er sich ein völlig anderes Terrain erschlossen – ein so unwegsames wie abgründiges, oft nur schwer zugängliches Sprachgebiet. Wie frei er sich auf diesem Terrain bewegt, wie wenig er sich um Konventionen, Moden und Erwartungen schert, lässt sich auch in dem neuen Band – den er sich und uns zu seinem 80. Geburtstag geschenkt hat – wieder beobachten. Im Hinblick auf seine Sammlung »InZwischen« (2014) habe ich von ihm als dem Künstler der radikalen »Entautomatisierung der Sprache« gesprochen und von seinem ambitionierten Versuch, eine »Hermetik des elektronischen Zeitalters« zu schaffen.
Herausgefordert durch zerfetzte Versgebilde
Dies gilt mehr noch für den neuesten Band . Wer da glaubt, eine gewisse Altersmilde könnte Fues dazu bewogen haben, die Leserinnen und Leser zu schonen oder zu verwöhnen, wird (angenehm?) enttäuscht. Man sieht sich stärker als bisher dazu herausgefordert, sich mit heterogenen, bruchstückartigen, oft geradezu zerfetzten Versgebilden auseinanderzusetzen, mit einer Methode der harten Fügung, die die Hölderlinsche weit hinter sich lässt, mit einer Syntax, die den Zusammenhang oft gezielt zu dekonstruieren oder zu zerstören droht. Und immer wieder klingen bekannte Vorbilder an – Symbolisten wie Hofmannsthal und George (»Vor Beryll und Albit / Edelkorallen-Zweige / wie Wellen wie Blätter wie Wellen wie«), politische Lyriker wie Brecht (»Ich / möchte mir wünschen: Unfähigkeit / weiter dieselbe Luft / in derselben Straße zu atmen / zu denselben Frauen hinaufzusehen, […] während / in einem andern Land // das Unerträgliche wissen, / bis das Wissen unerträglich wird«) und, vielleicht vor allem, Paul Celan, etwa wenn es einmal heißt: »Kopfstein. / Hagelradierung. Mit / kalter Nadel, als spielte / Uranus, Pluto, Neptun / Domino / auf der Sonne«.
Aufblitzende Neologismen
Dennoch, Fues’ Gedichte bleiben unverwechselbar: Das Ausgreifen vom Kleinsten zum Größten, die Spannweite zwischen Mythos und Science-Fiction, Antike und digitaler Gegenwart gehören zu seinen Markenzeichen: »Clips, Bots, Influencerinnen / die ich verwechsle und wieder vergesse« begegnen einem ebenso wie »Kastor – Pollux / in den silbernen Elektroden / an den Schläfen Penelopes«. Diese Gedichte wollen jedenfalls nicht pointiert, nicht süffig, nicht leicht konsumierbar sein. Vielmehr geben sie sich ungereimt in mehrfachem Sinne. Doch wer die nicht wenig anstrengende Expedition durch das semantische Dickicht dieser Texte auf sich nimmt, wird immer wieder belohnt. Nicht zuletzt auch durch Fues’ Neologismen, diese sprachlichen Preziosen, die da und dort aufblitzen: »Stern-Chromosomen« zum Beispiel, oder »Orgelgebrüll«, »Glasalphabeten«, »nachtdenklich«. Trotz der alternden Luft des Titels weht also durchaus auch frischer Wind durch dieses von Jana Morgenstern ansprechend illustrierte Buch.
Eckdaten zum Buch
Wolfram Malte Fues
In alternder Luft
Gedichte
mit Bildern von Jana Morgenstern
und einem Nachwort von Axel Helbig
Allitera, Lyrikedition 2000
München, Januar 2024
96 Seiten, Broschur
€ 20,00
ISBN 978-3-96233-423-9