Fremdgehen, jung bleiben – Folge 13: Marina Maggio

Junge Lyrik sieht sich selbst oft als eine Quelle der Innovation. Die Schnelllebigkeit der modernen Sprache, die Vielfalt der heutigen Gesellschaft mit all ihren frischen Einflüssen aus Ost, West, Süd und Nord verändern auch die Literatur tiefgreifend. Und so legt Leander Beil an jedem 8. des Monats den Fokus auf das kulturell und sprachlich Andere, das vermeintlich Fremde in der noch jungen Textwelt. »Fremdgehen, jung bleiben« nimmt jeweils einen Text oder Textausschnitt unter die Lupe und spielt essayistisch mit diesem – ohne den Spielregeln einer starren Analyse zu folgen.

 

Es ist die Pflicht des Lyrikers, auch das zu lesen, was einem selbst sprachlich, poetisch fremd ist, was dem eigenen Wortlaut nicht entspricht – besonders in einer Kolumne wie »Fremdgehen, jung bleiben«. Denn wie sonst kann man Neues erschließen, sich von dem Anderen überzeugen lassen.

Ein Text wie der von Marina Maggio (*1967, Schweinfurt) liegt für den Autor dieser Kolumne sprachlich eher in der Ferne. Und doch: Man kommt nicht umhin, anzuerkennen, dass viel sprachliches Können hinter jedem fein gewählten Wort steckt.

Die Art und Weise, wie sich Formen, Größen und Gesetze durch Maggios Text ziehen, zeigt einem, wie schwer die Naturgesetze, die Schwerkraft am Liebenden ziehen. Sie ziehen ihn zu Boden, richten ihn wieder auf, nur um kreisrunde Bissabdrucke auf der Schulter zu hinterlassen.

Die Physik der Sexualität, die »Schwerkraft im All«, alles ist Zug und Druck und löst sich von Anfang bis Ende auch so auf. Die Kälte des Professors während des Unterrichts reibt das Gegenüber vielleicht etwas zu wenig auf. Hier hätte man sich auch eine etwas stärkere Dissonanz vorstellen können.

Alles in allem lässt Marina Maggio einen die Spannung spüren, die Hochspannung zwischen zwei Menschen, die die Fremde zwischen ihnen durch körperliche Nähe ausgleichen wollen. Da bleibt nur die Frage: Geht die Formel auf?
 

Professor

Du sprichst über die Quantenfelder,
über Physik, über Gesetze, über Zug
und Druck und der Schwerkraft im All.

Aber über die feinen Härchen, die sich
aufstellen, wenn du mit deinen forschenden
Fingern über meinem Rücken streifst oder

welche Wirkung es auf meine Körpermitte hat,
sobald du mit deinen Zähnen kreisrunde Abdrücke
auf meiner rechten Schulter platzierst…darüber
schweigst du während des Unterrichts…

setzt hinter der Brille deiner glasgefangenen Pupillen,
Schnellschnittblicke auf die Symmetrie meiner Brüste
und zensierst Quadrant um Quadrant, die enthüllenden
Worte aus meinem Mund…
 

© Marina Maggio, Würzburg

(Das Gedicht erscheint im März in »Rabenschreie und Erdbeermond«.)
 

Leander Beil. Foto: Volker Derlath
Leander Beil. Foto: Volker Derlath

Leander Beil, geboren 18.08.1992 in München, lebt und studiert nach mehrjährigem Brasilienaufenthalt in München. Mitglied des Münchner Lyrik-Kollektivs »JuLy in der Stadt« (www.julyinderstadt.de). Erste Lyrikveröffentlichungen in »Drei Sandkörner wandern« (Deiningen, Verlag Steinmeier 2009), Versnetze 2/3 (hg. von Axel Kutsch, Weilerswist, Verlag Ralf Liebe 2009), NRhZ-Online (Literatur), »Die Hoffnung fährt schwarz« (München, Verlag Sankt Michaelsbund 2010), »Ois is easy« (München, Verlag Sankt Michaelsbund 2010), »Der deutsche Lyrikkalender 2012« (Boosstraat, Alhambra Publishing 2011), www.lyrikgarten.de (Online Anthologie des Anton G. Leitner Verlags), DAS GEDICHT Bd. 17, Bd. 18, Bd. 19, Bd. 22, Bd. 23 (Weßling, Anton G. Leitner Verlag), »Pausenpoesie« (Weßling, Anton G. Leitner Verlag 2015).
Alle bereits erschienenen Folgen von »Fremdgehen, jung bleiben« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert