Jubiläumsblog. Ein Vierteljahrhundert DAS GEDICHT
Folge 55: Friedrich Ani – Der Mensch hinter dem Dichter

Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel geboren. Er lebt heute in München. Von ihm erschienen zahl­reiche Romane, u. a. »German Angst« (Droemer Knaur) sowie »Hinter blinden Fenstern« (Zsolnay). Anis Bücher wurden vielfach aus­ge­zeich­net, u. a. mit dem »Deutschen Krimi­preis«, dem »Adolf-Grimme-Preis«, dem »Tukan-Preis« der Stadt München und dem »Bayeri­schen Fern­seh­preis«. Er ver­öffent­lichte auch mehrere Jugend­bücher, u. a. »Wie Licht schmeckt« (dtv/Hanser) und »Meine total wahren und über­haupt nicht pein­lichen Memoiren mit genau elf­einhalb« (Hanser). Mehrere Romane von Friedrich Ani wurden durch das ZDF verfilmt. Als Dreh­buch­autor schreibt er für TV-Reihen wie »Tatort«, »Ein Fall für zwei« und »Rosa Roth«. Friedrich Ani ist der Zeit­schrift DAS GEDICHT seit ihrer Gründung verbunden. Zu­sam­men mit Anton G. Leitner edierte er Band 17 von DAS GEDICHT (»Fürchte dich nicht – spiele!«), Weßling 2009. Friedrich Ani ist Mit­glied der Bayerischen Aka­demie der Schönen Künste und des Inter­natio­nalen PEN-Clubs.

Über einen siebenfachen Deutschen Krimipreisträger etwas zu schreiben ist nicht einfach. Nicht, weil es über Friedrich Ani keine Informationen gäbe. Sondern genau deswegen. Als Krimi-, Lyrik- und Drehbuchautor (unter anderem »Tatort«, »Stahlnetz« und »Rosa Roth«) ist Ani für ein breites Publikum bereits eine feste Größe.

Auf ein Interview mit möglicherweise bruchstückhaften Antworten, vergleichbar mit denen TV-erprobter Politiker, die immer wieder die gleichen Fragen gestellt bekommen, möchte ich es nicht ankommen lassen. Ich bin überzeugt, dass Friedrich Ani – bekennender Bob Dylan-Fan – der mit seinen verschiedenen Ermittlern von Tabor Süden, Polonius Fischer bis Jakob Franck in den letzten Jahren die Erfolgsleiter in der Verlagslandschaft bis ganz nach oben erstieg, selbst weder Lust noch Zeit hat, immer wieder Fragen zu beantworten wie: »Herr Ani, wie haben Sie sich denn als Autor zu dieser Gattung der Literatur hinentwickelt?« oder »Wieviel Tabor Süden oder Jakob Franck steckt eigentlich in Ihnen, Herr Ani?« oder »Woher kommt Ihr großes Interesse an den Verschwundenen, den Vermissten?« Und die Fragen, die mich wirklich interessieren, werde ich wohl kaum stellen (können), zum Beispiel die nach persönlichen traumatischen Erlebnissen oder woher die grenzenlose Melancholie kommt, die Friedrich Ani nicht nur in seinen Büchern, sondern auch selbst nach außen trägt, die man bei seinem Sprechen spürt, wenn er anderen Rede und Antwort steht oder Lesungen hält.

Das nächste Problem ist, dass ich dem wunderbaren Suhrkamp Verlag, der mich von verschiedenen Seiten mit insgesamt drei Rezensionsexemplaren von Anis neuesten Lyrikband »Im Zimmer meines Vaters« (2017) bestückt hat, nun eine Besprechung schuldig bin, die ich aber auf keinen Fall besser oder intensiver hinbekäme als Anis Weggefährte Nicola Bardola, der bereits Anfang Juli viel schneller damit war.

Die rettende Idee: Mal schauen, was andere zu diesem Erfolgsautor zu sagen haben oder was ihnen zu einem seiner jüngsten Bücher einfällt.

 

Nicola Bardola, der Friedrich Ani nicht nur kennt, weil er wie oben erwähnt seinen jüngsten Gedichtband ausgiebig besprochen hat, schwärmt:

»Friedrich Ani erreicht Simenonsche Dimensionen: Er schreibt mit enormer Intensität und höchster Qualität sein Lebenswerk. Er erfindet lebensnaheste Figuren im Alltag, also in Extremsituationen. Dabei ist er am Anfang einer Entwicklung, die ihn vom Kriminalroman entfernt, was sich in seinen Jugendbüchern und in seiner Lyrik zeigt. Ein frisches Bier mit ihm am Tresen samt Vorschauenbashing ist Atmen in Schreibpausen.

Seine Worte erzeugen einen eigenartig-einzigartigen Sog. Ani zieht die Leser hinein in die Schicksale verletzter Menschen. Er macht uns zu Zeugen von Verfehlungen, von Widerstand, von Verzweiflung, von Rache und Wiedergutmachung. Ani verändert uns, schärft unseren Blick, schaut hinter die Mimik der Menschen und ergründet die Ursachen für das Verschwinden aus dieser Gegenwart, für die Ab- und Wiederkehr.«

 

Friedrich Ani. Foto: Volker Derlath
Friedrich Ani. Foto: Volker Derlath

 

Philipp Röchter, begeisterter Leser von Anis Werken und diplomatisch kalkulierten Gefälligkeitsworten eher abgeneigt, meint:

»Ich habe von Friedrich Ani schon verschiedene Bücher gelesen, zuletzt ›Der Namenlose Tag‹ von 2016. Seine mir bekannten Romane könnte man als Charakterstudien und ›Bücher über das Leben und dessen Abgründe‹ beschreiben, die sich in keine Schublade stecken lassen und von Eigenwilligkeit, Ehrlichkeit und Mitgefühl geprägt sind. Da ich kein Fan von herkömmlicher Krimi-Literatur bin, gefallen mir Anis Erzählungen besonders gut, was neben den Themen natürlich auch seinem großen sprachlichen Talent geschuldet ist. Er schreibt nicht ›von oben herab‹, belehrend und den Leser bevormundend. Anis Bücher kommen authentisch und dabei handwerklich auf hohem Niveau herüber.

Obwohl die Hauptfiguren oft Kommissare sind und Fälle von verschwundenen oder dubios verstorbenen Menschen und deren Aufklärung im Vordergrund stehen, sind Anis Geschichten keine typischen Krimis. Hier geht es vor allem um das seelische und psychologische Innenleben der Protagonisten und deren dunkle Seiten, die wohl jedem Menschen innewohnen. Meine bisher von Ani gelesenen Bücher wurden mir nie langweilig oder langatmig, im Gegenteil wollte ich immer weiterlesen und den sich auftuenden Abgründen näherkommen. Ein großer und zu Recht gefeierter Schriftsteller, ich freue mich schon auf das neue Buch mit Jakob Franck!«

 

Im Jahr 2016 sind allein drei Krimis von Friedrich Ani erschienen: »Der einsame Engel: Ein Tabor Süden-Roman« (Droemer Knaur) im Februar, »Nackter Mann, der brennt« (Suhrkamp Verlag) im August und »Der namenlose Tag« (Suhrkamp Verlag) im Oktober. In diesem Jahr erschienen bereits sein Lyrikband »Im Zimmer meines Vaters« (Suhrkamp Verlag) sowie der Nachfolgeband um den melancholischen Ermittler Jakob Franck, »Die Ermordung des Glücks« (Suhrkamp Verlag). Auf jedem bekannten Krimifestival ist Ani zu Gast, zuletzt unter anderem bei der »Crime Cologne« im September dieses Jahres.

 

Superschnell ist Thilo Mandelkow, er schickt sofort etwas spontan Gedichtetes:

Ach, das ist ja wieder typisch: Da werd ich gefragt,
was mir wohl der schöne Name »Friedrich Ani« sagt.
Und ich grübel und ich krame tief in meinem Hirn
und ich schaue was da drinnen für Gedanken schwirrn:

Als ich erstmals von ihm hörte, kannte ich ihn nicht –
weder Werk noch seinen Namen – auch nicht sein Gesicht.
»Fried« – das klingt schon mal sympathisch; »rich« klingt monetär.
Glaubst Du nicht? Dann sprich es laut aus – Englisch, bittesehr!

Hinten dran, da steht dann »Ani« – und ich denk ad hoc
an die liebe Oma und an ihren Faltenrock.
Sie hießt zwar nicht »Ani«, aber ähnlich hat’s geklung’n,
gerne hat sie dann mit uns an ihr’m Klavier gesung’n.
Immer gab es Kaffee oder Tee, dazu Konfekt –
Kaffeeduft und Süßes. Hach … wie die Erinn’rung schmeckt.

Und da merk ich, wie ich stöber und im Hirne such:
Ja, ich kenn den Friedrich Ani, hab sogar ein Buch!
Ani hab ich mal gelesen und ich schrieb sogar
seinen Namen in mein Werk zum Staatsexamina!
So ein Buch zum jungen Jesus, steht in meinem Schrank.
Und ich hab es gern gelesen, dafür vielen Dank!

 

Wer Friedrich Ani schon einmal auf einer morgendlichen Schülerlesung – beispielsweise zu seinem Jugendbuch »Meine total wahren und überhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb« (Hanser Verlag, München 2008) – erlebt hat, zu einer Uhrzeit, wo der Münchner Schriftsteller am liebsten eher nicht sprechen würde, wer miterlebt hat, wie die Schülerinnen und Schüler neugierige und unverblümte Fragen stellen, die Friedrich Ani sehr geduldig und humorvoll beantwortet, könnte denken: Ja, das mit den vielen Kids liegt ihm und scheint ihm Spaß zu machen.

Friedrich Anis letzter Lyrikband »Mitschnitt« (Zsolnay Verlag, 2009) liegt ungefähr 8 Jahre zurück, sein erster wurde bereits 1981 publiziert. Der aktuelle Titel »Im Zimmer meines Vaters« lässt auf autobiografische Elemente schließen. Lässt aber auch an den an den Bibeltext aus Johannes 14:2 sowie Filme wie »Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen« denken, der in der Grabeskirche in Jerusalem spielt. Beabsichtigte Anspielungen?

Anis Gedichte klingen melancholisch. Der erste Teil, »So schwer ist das nicht«, ist erinnerungslastig, das lyrische Ich denkt an Kindheitstage, ist sich der Vergänglichkeit von allem und besonders seines eigenen Seins ständig bewusst. Es erinnert sich an Menschen, die nicht mehr da sind. Zeit ist unablässig ein Thema, verrinnende Zeit. Von einem Schatten wird das lyrische Ich begleitet. Der Schatten der Vergangenheit, der uns auf Schritt und Tritt folgt? Im Gedicht »Sternenkuss« ist von einem »Kellerland« die Rede, in dem Erinnerungen aufbewahrt werden an Personen, die es nicht mehr gibt: »Manchmal / streckt er seine Hand zum Himmel. Da / oben wohnt sie heut und er mit / Tüten voller Tand im Kellerland.«

Das Lyrische Ich sammelt »Wunden«, »seit ich / daraus Wörter nähen kann und mich / erschaffen, eingehüllt in einen Zwirn aus Zorn.« Beim Schreiben fühle er sich am lebendigsten, verriet Ani im April im MDR KULTR-Café, er erschafft sich quasi mit Wörtern neu.

Anis Gedichte sind nicht nur musikalisch, sondern auch sehr malerisch. Adelheid Duvanel in »Versehrte Verse« kann man förmlichen wehenden Gewandes vor Augen sehen.

Im Gedicht »Stubenland« heißt es: »Nie saß ich / im Stubenland …«. Eine Stube ist ja ein geheizter Wohnraum, sie hat etwas mit Bequemlichkeit, Komfort, mit Sesshaftigkeit zu tun. In einem Interview im Deutschlandradio sagte Friedrich Ani im Mai: »Im Herzen bin ich ein fahrender Sänger.« Muss man nicht sehr sesshaft in sich selber sein, um ein glücklicher Fahrender sein zu können?

Im zweiten Teil, »Ein beinah geglücktes Leben«, sagt das Lyrische Ich in »Tanz der Heimatlosen«: »Fremder bin ich, fremd geblieben …« Von Friedrich Ani wissen wir, dass er (Vater: Syrer; Mutter: Schlesierin) in eine Gegend hineingeboren wurde, deren dörfliche Enge nie wirklich die seine war, der er immer entfliehen wollte. Die Vorstellung, in einer großen Stadt anonym leben, darin ›untertauchen‹ zu können, hat ihn früh dazu bewogen, nach München zu ziehen. Gedichte wie »Unterm Dach« und »Biografie« sind maßlos traurig und man wünscht sich, sie hätten nichts mit dem Autor zu tun.

So wie man sich wünschte, dass speziell solche Geschichten wie die in Anis Roman »Totsein verjährt nicht« (dtv, 2011) nichts mit der Realität zu tun hätten. In diesem Roman verarbeitet Friedrich Ani die Geschichte um die 2001 verschwundene 9-jährige Peggy Knobloch, »einer der größten Skandale in der bundesdeutschen Kriminalgeschichte« (Ani), der 2012 im Fernsehkrimi »Das unsichtbare Mädchen« von Dominik Graf verfilmt wurde.

Friedrich Ani, der manchmal Bücher in Hotelzimmern schreibt und überhaupt gern ein dauerhafter Hotelgast wäre (»Zimmerling«: »Ich lebe im / Zimmer eines stillen Hotels,/ meine barfüßigen Nachbarn / leihen sich manchmal Blicke / aus …«), sagt über seine Protagonisten: »Alle meine Figuren haben einen Bruch in ihrer Biografie und einen Riss in ihrer Seele vielleicht, im schlimmsten Fall … sie sind auf jeden Fall nicht auf der Spur … sie sind nicht fähig mehr, an einem normalen, in den Augen anderer normalen Leben teilzunehmen …«. Dieses und viel mehr über den Schriftsteller kann man in dem wundervollen Film-Portrait »Ein Tag im Leben von Friedrich Ani« (BR 2015) erfahren.

Oder aber man liest gleich Anis aktuellen Gedichtband – das dritte Kapitel »Im Zimmer meines Vaters« zum Beispiel ist ein eindrucksvolles Abschiednehmen des Autors von seinem Vater, den er vielleicht nie richtig gekannt hat.

 
Friedrich Ani
Im Zimmer meines Vaters

Gedichte
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
Hardcover, 131 Seiten
ISBN: 978-3-518-46799-2

 

Franziska Röchter. Foto: Volker Derlath

Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.


Die »Internationale Jubiläumslesung mit 60 Poetinnen und Poeten« zur Premiere des 25. Jahrgangs von DAS GEDICHT (»Religion im Gedicht«) ist eine Veranstaltung von Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Mit Unterstützung der Stiftung Literaturhaus. Medienpartner: Bayern 2.

DAS GEDICHT Logo

 

Literaturhaus München


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert