Melanie am Letzten – Folge 68: Kontaktlos (un)glücklich

Es ist ein Wahnsinn, ein Irrsinn und nicht selten ein Blödsinn: So geht es zu im Tollhaus Welt. Der Mensch neigt zu seltsamen Verhaltensweisen, die schockieren, alarmieren oder amüsieren können. Was hilft zu guter Letzt? Die Poesie. Nicht ärgern, stänkern oder meckern, sondern dichten – meint die schwarzhumorige Poetin Melanie Arzenheimer und kommentiert die Deadlines des Lebens jeweils am Monatsende auf DAS GEDICHT blog.

 

Alles läuft jetzt online. So schön kontaktlos. Hygienisch. Man könnte von clean und sogar unbefleckt sprechen. Bestellungen werden online getätigt, Videos gestreamt, die Kochbox zusammengestellt und das Fitnesstraining mit dem Internet-Coach in Miami erledigt. Letzterer loggt sich über das Gesundheitsarmband gleich in den Blutkreislauf des Kunden ein und regelt beim Blutdruck – wenn nötig – etwas nach.

Die Konferenzen mit den Kollegen aus der Firma werden via Skype im portraitfreundlichen Oberkörpermodus samt Hintergrund-Weichzeichner abgewickelt (sieht ja keiner, dass der Chef grad noch im Schlüpper am Schreibtisch sitzt) und sogar das Arzt-Rezept wird ohne Körperkontakt nach Telefon-Diagnose per Mail übermittelt.

In der eigenen Überwachungszentrale kann man vom Sofa aus die Kameras im Garten und an der Haustür steuern. Man ist immer im Bilde, was draußen passiert, ohne auch nur einen Schritt vor die analoge Tür setzen zu müssen. Zur Not wird noch ein Foto von den verbrecherischen Zusammenrottungen in Nachbars Garten auf ein soziales Medium hochgeladen.

Fast jeder Mensch beherrscht inzwischen ein digitales Imperium, in dem er schalten und walten kann, wie er will. Möge die Macht mit ihm sein. Oder besser das High-Speed-Internet. Als Bewohnerin einer bayerischen Kleinstadt muss ich nämlich einwerfen, dass die Errungenschaft eines Glasfaserkabels die Menschheit nur dann auch wirklich weiterbringt, wenn das Kabel nicht nur am Grundstück vorbei führt, sondern das flotte Internet bis ans Endgerät gerät. Noch hat sich das nicht überall rumgesprochen und schon gar nicht durchgesetzt. Und so sitzt der Landbewohner beim Upload eines Videofiles schon mal 48 Minuten vor dem Rechner und schaut dem Ladebalken beim Aufbau zu. Zusätzliche Tätigkeiten am Rechner könnten die fragile Beziehung von Rechner und Internet schlagartig wieder trennen. Also am besten nichts bewegen, schon gar keine Taste auf der Tastatur.

Besonders hinderlich ist so ein lahmes Internet bei den Anbahnung von Beziehungen. Da könnte so ein unverbindliches Treffen zum …. Sie wissen schon … bereits online das werden, was es ist: ein kurzes Vergnügen. Zu früh abgebrochen. Immer schlecht. Dabei hatte sich das doch so gut angelesen:

 

Kontaktanzeige eines Volkswagen bei Carship

Von der Insel
muss sie sein
seine Traumgefährtin
rechtsgesteuert
kommt sie
ihm so nah wie keine
und mit diesem
Linksverkehr
macht sie ihn glatt
verrückt
dieses Luder
mit den Ledersitzen

 

© Melanie Arzenheimer, Eichstätt

 

Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath
Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath

»Melanie am Letzten« wird Ihnen von Melanie Arzenheimer präsentiert. Sie wurde 1972 in Eichstätt / Bayern geboren, wo sie heute noch wohnt. Melanie Arzenheimer arbeitet als freiberufliche Journalistin, Autorin und Hörfunkmoderatorin.
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Alle bereits erschienenen Folgen von »Melanie am Letzten« finden Sie hier.

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