Melanie am Letzten – Folge 75: Knäckebrot zu Weihnachten?

Es ist ein Wahnsinn, ein Irrsinn und nicht selten ein Blödsinn: So geht es zu im Tollhaus Welt. Der Mensch neigt zu seltsamen Verhaltensweisen, die schockieren, alarmieren oder amüsieren können. Was hilft zu guter Letzt? Die Poesie. Nicht ärgern, stänkern oder meckern, sondern dichten – meint die schwarzhumorige Poetin Melanie Arzenheimer und kommentiert die Deadlines des Lebens jeweils am Monatsende auf DAS GEDICHT blog.

 

Je näher das Weihnachtsfest kommt, desto intensiver beschäftigen sich manche Menschen mit der Nahrungszubereitung zu eben jenem festlichen Anlass. Es beginnt bereits mit einer Art Backwahn vor dem ersten Advent, um mit dem ersten Licht auch gleich ein Feuerwerk an 45 verschiedenen Plätzchensorten zu zünden. Dazu werden unermüdlich Rezepte und Backanleitungen ausgetauscht, vorzugsweise über die Backwahn-WhatsApp-Gruppe, in der die Werke selbstverständlich auch begutachtet und bewertet werden. Der Wettbewerb ist eröffnet!

Das gilt auch für das Festmahl zu Weihnachten. Wer nicht mindestens das Johann-Lafer-Gedächtnis-Festtagsmenü auf den Tisch stellt, der hat verloren oder wird zumindest aus dem Kreis derjenigen ausgeschlossen, die sich ernsthaft mit der Problematik des adäquaten Weihnachtsessens auseinandersetzen. Dazu gilt es die einzelnen Bedürfnisse der an der Nahrungsaufnahme Beteiligten zu berücksichtigen: Es müssen lactosefreie, glutenarme Gerichte aufgetischt werden, die koscher und halal sind, dazu bei den Veganern und Vegetariern keinen Gewissenskonflikt verursachen und wegen des Übergewichts der Schwiegereltern auch noch fett- und cholesterinarm sind. Kohlehydrate sollten außerdem nur marginal vorhanden sein. Puh. Da kommt sogar der Schuhbeck an seine Grenzen. Und Oma Gertrud. Am Ende bleibt vielleicht ein Käckebrot mit etwas Eissalat. Fest steht: Längst vorbei sind die guten alten Zeiten, in denen man über jeden Bissen froh war und einfach mal alles in den Topf geschmissen hat, was einem so in die Quere oder vor der Speer kam. Damals in der Höhle.

 

Erster bezeugter Nachweis einer Gulaschzubereitung in der Menschheitsgeschichte

Höhlenbär und Riesenhirsch
waren wieder auf der Pirsch

als sie plötzlich arg erschreckten
weil sie Schreckliches entdeckten

reichlich hässliche Geschöpfe
saßen da mit Ton-Getöpfe

und sie schienen sich zu laben
an des Waldes reicher Gaben

Riesenhirsch sah mit Entsetzen
diese Bestien Messer wetzen

scharfe Klingen trennten flugs
totes Fleisch vom Pelzbewuchs

schnitten es in kleine Ecken
um´s in ein Gefäß zu stecken

dazu landete im Topf
eines Höhlenbären Kopf

der – wie Riesenhirsch laut röhrte –
ihrem Kumpel Bert gehörte

da beschlossen sie zu fliehen
und beschleunigt fort zu ziehen

Riesenhirsch scharrt mit den Hufen
hört´s von hinten „Mahlzeit“ rufen

das Getier, es sucht das Weite
vor der Vielfraß Menschen Meute

um das Schicksal abzuwenden
und als Gulaschmahl zu enden

war man einst noch sehr gefährlich
ist man heut im Topf begehrlich

Hallo – was ist nur geschehn?
Was ist passiert im Pleistozän?

Evolution, verdammter Scheiß.
Auf Erden wird’s auf einmal heiß.

Beweisen hat die Schreierei:
die Eiszeit war schlichtweg vorbei.

 

© Melanie Arzenheimer, Eichstätt

 

Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath
Melanie Arzenheimer. Foto: Volker Derlath

»Melanie am Letzten« wird Ihnen von Melanie Arzenheimer präsentiert. Sie wurde 1972 in Eichstätt / Bayern geboren, wo sie heute noch wohnt. Melanie Arzenheimer arbeitet als freiberufliche Journalistin, Autorin und Hörfunkmoderatorin.
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Alle bereits erschienenen Folgen von »Melanie am Letzten« finden Sie hier.

Ein Kommentar

  1. Bewiesen oder beweisen? Egal! Grandios mal wieder. Zum Glück hab ich das jetzt mit etwas über einem Monat Verspätung erst gelesen (im November/Dezember war Arbeit so stressig), sodass es mir ein wenig den Jahresstart 2021 versüßt, wo ich doch gar keine Jahresendabrechnung oder Dezember-Kommentierung finden konnte.

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