Gedichte mit Tradition, Folge 202: »Selbstjustiz im Havelland« von Karsten Paul

»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer

 

Karsten Paul

Selbstjustiz im Havelland

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn‘s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste ’ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn.«

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
der sah mit Erstaunen, wie angerannt
zwei Mütter kamen und hinterdrein
eine Meute von Leuten mit Lärmen und Schrei’n.
Man drohte ihm lauthals: »Geh weg von dem Kind!
Wir wissen genau, was für Typen das sind,
so Onkels wie du! Die Birne ist faul!
Und du bist pervers! Jetzt gibt’s was aufs Maul!«

Dann spendete Prügel so manche Hand
dem Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

 

(Die erste Strophe ist der Original-Auftakt von Theodor Fontane)

© Karsten Paul, Nürnberg

+ Das Original

 

+ Zum Autor

 

Gedichte mit Tradition»Gedichte mit Tradition« im Archiv

Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert