Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.
Semier Insayif
kann der zufall
eine behausung sein
kann man sich im zufall einrichten
hat er zimmer zum bewohnen
ein bett um in ihm zu schlafen
um in ihm zu träumen
haben die räume fenster
(um hinauszublicken)
haben sie türen
(um einzutreten)
hat der zufall
ein dach
hat er grund
und
hat er boden
* * *
es gibt tage
sagst du
die über kopf
ausfransen und
dich ohne zu verstehen
in die lage verqueren
nur noch ab
zu tropfen dich
von dir selbst zu ent
leeren über den rand hin
weg fern jeder witterung
eine nah/t/stelle zu ertasten
zwischen verwunderung
und verwundung
verläuft dein
nächtlicher unter
schlupf
* * *
wer wünscht sich schon
einen heruntergekommenen
himmel
der sich selbst erzählt
denn was ist der himmel
ohne seine unverfügbarkeit
ohne unser aufschauen
ohne seine unerhörtheit
er verlöre jede herablassung
jede suggestive überhöhung
ohne unsere worte
wäre er niemals blau
nicht einmal blass
könnte er werden
er könnte weder buchstabieren
noch könnte er buchstabiert werden
ohne unsere worte
ohne unseren atem
ohne unseren tod
ist der himmel bloß
(himmel)
Alle drei Gedichte sind seinem Lyrikband »vom auf horchen und zu fallen« (Klever 2025) entnommen.
© für alle drei Gedichte: Semier Insayif, Wien (Österreich)
Zum Autor:
Semier Insayif, geb. 1965 in Wien, wo er auch heute lebt, und zwar als freier Schriftsteller, Dichter, Literaturvermittler, Kurator und Moderator literarischer Veranstaltungen (Alte Schmiede, Österreichische Gesellschaft für Literatur etc.) sowie Leiter von Schreibwerkstätten und Literaturseminare und Präsident des BÖS (Berufsverband Österreichischer Schreibpädagog:innen). Dazu ist Insayif Fitnessberater sowie Kommunikations- und Verhaltenstrainer. Zuletzt sind von ihm dieses beiden Gedichtbände erschienen: »vom auf horchen und zu fallen« (2025) und »ungestillte blicke« (2022, beide Klever).
Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.
Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist 2023 erschienen, ihre erste Kurzprosasammlung folgte 2024 mit »Worte wie Mandelblüte« (beide bei Otto Müller). Derzeit arbeitet sie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.
SophiaLunraSchnack.com
Alle bereits erschienenen Folgen von »Sinnliche Lyrik« finden Sie hier.
