Sinnliche Lyrik, Folge 11: Wasserfee und Meerjungfrau – Gedichte von Andreas Unterweger

Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.


Andreas Unterweger

Silberhauch

Es gibt Wasserfeen (nicht zu verwechseln mit: Wasserfrauen),
deren Flügel sind genauso unverwechselbar quecksilbrig blau
wie die von Wasserjungfern (nicht zu verwechseln mit:
Wasserfrauen), sie gaukelfliegen auch genauso
– unnachahmlich knapp überm Wasser
(wie Wasserfarbenkleckse voller Feenglanz, blau!) –
wie Wasserjungfern, und wenn ich mich nicht irre,
lässt sich ohne Bedenken behaupten, dass sich Wasserfeen
und Wasserjungfern – nicht aber: Wasserfrauen
(die sind wiederum anders, bedeuten
anderes, siehe: Die letzte Meerjungfrau) –,
dass sich also Wasserfeen und Wasserjungfern, diese zwei
Wasserwesen, bis zum hintersten, hellstrosa schimmernden
Segment ihres Unterleibs, ja, bis ins kleinste, unscheinbarste
Grübchen an ihrem Prothorax hinein!, gleichen … Aber:
Lassen Sie sich nicht täuschen.

* * *


Die letzte Meerjungfrau

Eine Meerjungfrau in einer Klomuschel
wird meistens für eine Python gehalten.

Die meisten der wenigen, denen sie sich zeigt,
ergreifen schreiend die Flucht … Die wenigsten

fotografieren »die Schlange« … Bewundert, begeistert
willkommen geheißen oder einfach nur gesehen

hat sie aber noch niemand.


Beide Gedichte aus: »Haus ohne Türen« (Droschl 2025)

© für beide Gedichte: Andreas Unterweger, Graz (Österreich)

Zum Autor:
Andreas Unterweger, geb. 1978 in Graz, lebt in Leibnitz (beides: Österreich). In seinen Geschichten und Gedichten erzählt er vom Großen im Kleinen, manchmal ironisch, manchmal melancholisch, oft hoffnungslos romantisch – und gerne all das zusammen. Zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, u. a.: Literaturpreis der Akademie Graz 2009 und manuskripte-Preis des Landes Steiermark 2016.

Lange Zeit ein Lyriker, der Romane schrieb, präsentiert der Herausgeber der manuskripte (seit 2020) nun seinen ersten Gedichtband. Zuletzt von ihm erschienen: »Haus ohne Türen« (Gedichte, 2025) und »So long, Annemarie« (Roman, 2022; beide bei Droschl).

andreasunterweger.at


Sophia Lunra Schnack (Foto: Walter Pobaschnig)

Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.

Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist 2023 erschienen, ihr erste Kurzprosasammlung folgte in diesem Jahr mit »Worte wie Mandelblüte« (beide bei Otto Müller). Derzeit arbeitet sie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.

www.SophiaLunraSchnack.com



Alle bereits erschienenen Folgen von »Sinnliche Lyrik« finden Sie hier.



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