»Ein Fest für die Lyrik – und damit: das Leben« – Premiere von Anton G. Leitners »Schnablgwax« im Literaturhaus München

Bericht: Jan-Eike Hornauer (Text und Fotos)

München. »Erstmals hat er einen Band so geschrieben, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: in oberbairischer Mundart.« Mit diesen Worten leitete Sabine Zaplin, Moderatorin des Abends, bekennende Preußin und langjährige literarische Weggefährtin Leitners, die Premierenlesung von »Schnablgwax«, dem jüngsten Solotitel des umtriebigen Verlegers, Herausgebers und Dichters Anton G. Leitner ein. Damit bezog sie sich freilich nur auf die Originale. Denn damit die oberbairischen Verse wirklich allen Lesern zugänglich sind, hat Leitner stets auch hochdeutsche Übersetzungen angefertigt – und Bill Soutter, Dagmar Taylor sowie Richard Dove haben einige Übertragungen ins Englische und Schottische, in Cockney und Mockney beigesteuert, das »Schnablgwax«-Sprachexperiment also noch weiter fortgeführt. Wie wunderbar diese Erweiterung in den englischen Sprachraum hinein funktioniert, haben sie im Live-Vortrag ausgewählter Beispiele am Premierenabend in der gut besuchten Bibliothek des Literaturhauses München unter Beweis gestellt.

Lokal und welthaltig

Insgesamt lässt sich wohl festhalten: Das Lokale und das Welthaltige, in »Schnablgwax« findet es, übrigens nicht nur wegen der Übersetzungen in eine andere Hochsprache und ihre Dialekte, zusammen. Vielleicht etwas, wofür gerade ein Band prädestiniert scheint, der im Raum des Weltdorfs München entstanden ist. Zu dem hier ansässigen Weltverständnis passt es jedenfalls, sich auf internationaler und multilingualer Ebene mit bayrischem Dorfgeschehen zu beschäftigen sowie auch große Themen der Weltpolitik, wie die sogenannte Flüchtlingskrise, kritisch und aufklärerisch in Mundart anzupacken. Kurzum: Das Große und das Kleine finden in Buchkonzept und –inhalt mühelos und auf unterschiedliche Weise sowie eigentümlich gleichberechtigt zusammen – und genau das wiederum unterstreicht durchaus den lokalen Charakter des »Schnablgwax«.

Lebensprall und lebensbejahend

Treffend war es auch, dass Zaplin ankündigte: »Wir wollen heute Abend die Kunst feiern, die Lyrik – und damit: das Leben!« Denn die »Schnablgwax«-Verse sind eben: lebensprall und lebensbejahend. Eine große Fallhöhe hinsichtlich möglicher Indiskretionen, wenn man so nah am realen Leben schreibt und überdies noch immer in seinem Geburtsort wohnt, sieht Leitner übrigens nicht, wie er im Interview schelmisch grinsend klar machte: »Beim Dorf ist ja das Schöne: Die, die da im Gedicht vorkommen, lesen ja nicht.«

Die Vorzüge des Bairischen sieht er vor allem darin, dass es, viel besser noch als die bürokratisch klingende Schriftsprache Hochdeutsch, die Sachverhalte knapp und treffend auf den Punkt bringen kann. Zudem gilt ihm zufolge: »Das Bairische ist natürlich auch eine Sprache, die eine gewisse Erotik ausstrahlt, ohne Zweifel!« Nun, da mag man geteilter Meinung sein, Leitner jedenfalls meint dies ernst und wird mit großer Sicherheit auch zahllose Unterstützer dieser These finden.

Komisch und die Preußen verspottend

Mit Sicherheit ist richtig, dass Mundart eben anders funktioniert als die Schriftsprache – und dass mit ihr auch andere Ausdrucksformen möglich sind, etwa Derbheiten, die im Hochdeutschen in dieser Form nur Ablehnung verursachen würden, hier aber als charmant rüberkommen – bis hin zum Fäkalhumor, wie er in »Wer koa, der koa« tragenden Anteil hat. Beömmelte sich hier das Literaturhaus-Publikum beim Mundartvortrag über das Schickeriaschicksen-Durchfallhündchen köstlich, so wäre eine gleich deftige Hochsprachvariante an dieser Stelle doch … nun ja: ein Durchfallgrund. Was natürlich zu der Frage führt, wie der Dichter mit solcherlei Hürden umgeht, denn er legt im Buch ja alle seine Poeme auch im Hochdeutschen vor. Er setzt im Allgemeinen darauf, wie es auch im angesprochenen Gedicht der Fall ist, durch eine bewusst zugespitzte Steifheit in der Hochsprachversion einen weiteren amüsanten Effekt zu erzielen – und so einen gelungenen Übertrag selbst da zu schaffen, wo ein solcher schwer möglich scheint. Zuweilen gibt dies einen ganz besonderen Pfiff, zuweilen ist es vor allem eine passable Möglichkeit, überhaupt eine brauchbare Übersetzung dem Original gegenüberzustellen. In seiner Komik-Absicht und Preußen-Verspott-Freude zu voller Entfaltung kommt dieser Kniff etwa in »De gloane Pussiakugl« (übersetzt: »Die kleine Mollige und Rollige«), wo es unter anderem fragend heißt: »Wuis / Gleich schnaxln, fois i / Aa auf der Schdäi / Schnaxln mechd, […]«, was dann im Hochdeutschen so daherkommt: »Will sie / gleich den Beischlaf vollziehen, falls ich / Auch auf der Stelle / Koitieren möchte, […]«. Und in »Voalezde Ölung«, einer erotischen Studentenzeiterinnerung, wird bspw. aus einem »Fezzn« ein »strapaziertes Textil« und aus »mi drin eiwiggln« ein »meinen Leichnam würdevoll verhüllen«.

Erste Mundartgedichte 2014 in »Vastehst me«

Als Herausforderung benannte Leitner die Verschriftlichung seines bairischen Idioms, vor allem, da eine Einheitlichkeit hineinzubringen, sei keine leichte Aufgabe gewesen. Er sei sehr glücklich, mit Johanna Trischberger hier genau die richtige Lektorin an Bord gehabt zu haben. Ohne solche Unterstützung sei ein ganzer und in sich konsistenter Mundartband kaum zu leisten.

Dass Mundart für ihn auch im Kunstbereich funktioniert und nicht nur im Alltag, hat der Weßlinger Poet, der mittlerweile 55 Lenze zählt, erst vor einigen Jahren entdeckt: Seine ersten Mundartgedichte verfasste er, als sein damaliger Verleger-Kollege Hubert Ettl vom Lichtung-Verlag (der nun auch »Schablgwax«-Kooperationspartner ist) ihn aufforderte, für einen Mundartlyriksammelband eigene Gedichte beizusteuern. Leitner hatte keine – schrieb aber ein paar, und diese fanden auch gleich Aufnahme in »Vastehst me«, erschienen 2014. Zudem machte er im Live-Vortrag, unter anderem bei den »Schwabinger Schaumschlägern«, die Erfahrung, dass seine in Mundart vorgebrachten Zwischentexte sehr gut ankamen. Und so stellte sich ihm bald die Frage: Warum eigentlich nicht einmal ein Mundartlyrikbuch?

Schottland ist wie Bayern

Wie naheliegend eine Übersetzung ins Schottische war, erklärte Richard Dove, unter anderem Lyriker, Übersetzer und Fremdsprachendozent: »Schottland ist nicht nur vom Brauchtum her mit Bayern zu vergleichen, sondern auch von der Sprachpflege.« Bill Soutter, Englischlehrer und Übersetzer (u. a. für den Film »Comedian Harmonists«) betonte, wie viel Dialekt mit Identität zu tun hat. Und auch, dass Übersetzen mehr als nur ein technischer Vorgang ist, dass es hier ganz wesentlich um Nuancen, Intonationen, Klangbilder und Humor geht. Und Dagmar Taylor, u. a. Englischdozentin, Germanistin, Redakteurin, unterstrich, dass Sprache eben auch Heimat bedeutet: »Noch heute rutsche ich, wenn ich mit einer guten Freundin spreche, sofort in den Dialekt – und das hat was Schönes!«

Auch ernste Themen

Dass der Dialekt dabei nicht nur humorig, derb, erotisch, bissig sein kann und stets bereit, auf die Mächtigen und die Preußischen sowie alle Dummheit und alles Fleischliche zu zielen, sondern dass er durchaus auch Nachdenkliches und Tieftrauriges sehr gut transportieren kann, zeigt unter anderem das Gedicht „KaZedd-Rosl“, das auf der Premierenlesung in Bairisch, Schottisch, Cockney sowie zwei Englischvarianten dargebracht wurde. In ihm geht es um das Missverhältnis, ja eigentlich den Skandal, dass Nazi-Täter oft in der Nachkriegszeit rasch wieder angesehene Positionen einnahmen – und ihre Opfer weiterhin die Leidtragenden waren. Und darum, dass sich all dies auf den ersten Blick nicht immer erkennen ließ: »KaZedd-Rosl // Hods ghoassn im ganzn Doaf und i / hob mi gfrogd ois Bua, warums so a diafe / Schdimm hod und an Oidweiwabard dazua, / Und hob beim Name Rosl jedsmoi ans // Breiroslzäid denga miassn aud da Wiesn«, so beginnt dieses Gedicht, in dessen Verlauf klar wird, wie schief diese Anfangsassoziation ist und wie wenig die Rosl einfach eine »schiache Heena« ist, sondern dass sie im KZ unter anderem mit Hormonspritzen misshandelt wurde – von nachher, in der BRD, mit den höchsten Verdienstorden ausgezeichneten Medizinern, angesehenen Mitgliedern ehrenhafter Familien in den Ortsgemeinden.

Sabine Zaplin, Anton G. Leitner, Dagmar Taylor, Richard Dove und Bill Soutter. Foto: Jan-Eike Hornauer
Sabine Zaplin, Anton G. Leitner, Dagmar Taylor, Richard Dove und Bill Soutter. Foto: Jan-Eike Hornauer

Bonus

Die Buchpremiere von »Schnablgwax« wurde in voller Länge vom Literatur Radio Bayern aufgezeichnet und ist ab sofort online zum Nachhören verfügbar:

Teil 1: Lesung von und Gespräch mit Anton G. Leitner
http://literatur-radio-bayern.de/index.php/fda-bayern/fda-friends/488-fda-friends-anton-g-leitners-bairisches-verskabarett-schnablgwax-premiere-im-literaturhaus-muenchen

Teil 2: »Schnablgwax« international mit den Übersetzern Dagmar Taylor, Richard Dove und Bill Soutter
http://literatur-radio-bayern.de/index.php/fda-bayern/fda-friends/494-fda-friends-anton-g-leitners-bairisches-verskabarett-schnablgwax-premiere-im-literaturhaus-muenchen-2

Maren Martell hat den Abend fotografisch begleitet – eine Auswahl ihrer Bilder finden Sie hier:

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