Gedichte mit Tradition, Folge 109: »Oktoberfest«

Das Original ist »Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort« von Rilke; vor diesem Hintergrund sowie ggf. mit dem Wissen, dass der Herausgeber der »Gedichte mit Tradition«-Reihe ein Freund sauberer Metrik ist, mag manch kleinerer Holperer in dem Nachbild von Alfons Schweiggert, der wiederum Sprache und Rhythmus per se in vorbildlichsten Einklang zu bringen befähigt ist, den Leser in Erstaunen versetzen.

Hierzu sei erklärend angemerkt, dass mehrmaliges Lautlesen sowie das Zusammenpassen von – leicht – unreiner Form und Inhalt des Schweiggert-Poems den Herausgeber dazu veranlasst haben, den Autor hier zwar auf die Rhythmus-Unstimmigkeiten, besonders an einigen Versanfängen, hinzuweisen, damit er diese korrigieren kann, falls ihm schlicht beim Dichten – was ja jedem einmal passiert – was durchgerutscht ist, ihm aber auch freizustellen, in diesem Falle das Unvollendete, das Besondere und durchaus Passende, zu belassen.

Die Antwort des Autors auf die Herausgebermail war entstehungsgeschichtlich sowie stilargumentatorisch bestechend – und wird folgerichtig nun hier im Wortlaut wiedergegeben. Alfons Schweiggert schrieb:

Ja, lieber Jan-Eike Hornauer,

wer die Nachdichtung eines Rilke-Gedichtes versucht und dieser den Titel »Oktoberfest« gibt, der tut das, wie in meinem Fall, am besten in einem Bierzelt auf dem Oktoberfest.
Dass dabei die Metrik zwar nicht sauber ist, dafür aber sauber aus dem Gleichgewicht kommt, ist der Sinn det Janzen.
Wer aber zwei oder drei Maß intus hat, wenn er ein solches Gedicht schreibt, der rezitiert die Verse so fehlerlos, wie ihm dies bei perfekter Metrik niemals gelingen würde.

Gerne können Sie mein Gedicht mit diesen drei erklärenden Zeilen ergänzen. 😊

Alles Liebe
Ihr Alfons Schweiggert
 

Rainer Maria Rilke

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn, und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Alfons Schweiggert, geboren 1947 in Altomünster, lebt in München. Er ist als Autor breit aufgestellt, so veröffentlichte er Erzählungen, Lyrik, einen Roman, Biographien, satirische Bücher, Theaterstücke, Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Auf das Studium der Psychologie, Philosophie und Pädagogik folgte von 1973 bis 1979 ein Lehrauftrag an der Universität München, in dieser Zeit auch fünf Jahre Mitarbeit bei der Satirezeitschrift »Pardon«. Lehrtätigkeit an versch. Schulen, von 1993 bis 2009 Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, München. Seither freischaffender Schriftsteller. Auszeichnungen u. a.: 1976 und 1984 Deutscher Jugendliteraturpreis (Bestenliste), 1995 Bayerischer Poetentaler, 1997 Werkschau in der Internationalen Jugendbibliothek München. Seit 2000 Präsidiums-Mitglied der Schriftstellervereinigung »Turmschreiber« und seit 2007 im Vorstand der von ihm begründeten Karl Valentin-Gesellschaft. www.Afons-Schweiggert.de