»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Simon Gerhol
Kein Meer
Zartes Dreieck bläht der Wind
Ätherblasse Wellen wallen
Möwenrufe hallen
Myriaden heller Spiegel Kind
Seelen segeln
Horizont – Kurs – blau
Hafensehnsucht – Herzenstrieb
Äthernasse Wellen türmen
Seelen – Segel flattert
orkangepeitschter Taue Hieb
Klippen – Gischt – gestrandet’ Wrack
Lebensregatta – fernes Boot
Klopfzeichen der Brandung
Flaschenpost aus Plastikmüll
Poseidons Raub
verhüllt uns Kinder aus Unendlichkeit,
stets flehend und doch taub
© Simon Gerhol, Grasbrunn
+ Das Original
Christian Morgenstern
Am Meer
Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern,
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.
Keine Frage
von Menschenlippen
fordert Antwort.
Keine Rede
noch Gegenrede
macht dich gemein.
Nur mit Himmel und Erde
hältst du
einsame Zwiesprach.
Und am liebsten
befreist du
dein stilles Glück,
dein stilles Weh
in wortlosen Liedern.
Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.
+ Zum Autor
Simon Gerhol, geboren 1968, Studium der Elektrotechnik in Stuttgart, lebt und arbeitet heute als Ingenieur in Grasbrunn bei München. Er schreibt seit seiner Jugend und ist der Meinung, dass »ein guter Text abhängen muss wie gutes Fleisch«. Er will ernste und Unterhaltungs-Literatur näher zusammenbringen, verfasst Kurzgeschichten, Romane und Gedichte. Seit 2013 erste Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften (u. a. in »Neue Sirene. Wegweisende Literatur der Gegenwart« und »LiteraturSeiten München«), dazu Lesungen. 2015 ist sein Kurzgeschichtenband »Reisende ohne Eigenschaften« erschienen, 2017 mit »Terra Divisa« sein erster Roman (beide BoD). Er ist Vorstandsmitglied des Münchner Literaturbüros (MLB) und des Münchner Künstlervereins Realtraum. http://simon2muff.wixsite.com/simongerhol
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden zweiten Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.