Rainer Maria Rilke
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Anmerkung: »Der Panther« von Rilke ist mit klarem Abstand das am häufigsten genutzte Vorlagen-Gedicht dieser Reihe. Popularität und Angebot an vor allem inhaltlichen, jedoch auch formalen Anknüpfungspunkten sind hier zwei entscheidende Kriterien: Er gilt vielen meiner Dichterkollegen (sogar dann, wenn sie ihn einmal weniger zart weiterverarbeitet haben sollten!) wie auch mir als eines der besten deutschen Gedichte überhaupt; sie kennen ihn gut, tragen ihn im Geiste immer mit sich und beschäftigen sich gerne mit ihm. Und er lässt sich in vierlei Hinsicht uminterpretieren sowie thematisch (hinsichtlich unterschiedlichster Aspekte von Leben und Gesellschaft), auf die Zeit bezogen sowie auch formal und sprachlich wahlweise gut originalnah nutzen oder auch neu denken.
Aus der ohnehin großen Präsenz des Rilke-Panthers in »Gedichte mit Tradition« ergab sich der Gedanke, die »Panther«-Nachfolgegedichte quasi als kleine Sammlung innerhalb der Reihe leicht zugänglich zu machen sowie auch den Panther noch weiter zu stärken. Entsprechend habe ich im vergangenen Sommer auch Autorinnen und Autoren dazu aufgerufen, weitere »Panther«-Lyrik zu verfassen. Und dieser Aufruf hat überaus erfreuliche Resonanz gezeitigt: Es hat sich neben etwa Gabriele Trinckler, Jan Causa, Hans-Werner Kube, Jochen Stüsser-Simpson (vorige »Panther«-Folgen) auch Thomas Glatz extra hierfür neu mit Rilkes »Panther« auseinandergesetzt – und er hat, wie auch seine in der »Reihe in der Reihe« (der »Panther«-Reihe in der »Gedichte mit Tradition«-Reihe veröffentlichten Vorgänger einen ganz eigenen Blickwinkel auf das Thema in wunderbare Verse verwandelt. Es freut mich wirklich sehr zu sehen und zu erleben, wie dieser bescheidene Aufruf zu wirklich schönem Kunstwachstum führt – und mit wie viel Begeisterung sich meine geschätzten Dichterkollegen und -kolleginnen auf so eine kleine, aber feine Aufgabe stürzen, so dass nicht nur in den Teilen, sondern auch und erst recht im Zusammenwirken etwas in der Tat Besonderes neu entsteht!
Weitere »Panther«-Poeme sind mir, von bereits in der Reihe vertretenen Dichterinnen und Dichtern ebenso wie von weiteren Autoren, natürlich nach wie vor sehr willkommen – und die richtig gelungenen von ihnen sollen dann auch weiterhin peu à peu in den »Gedichten mit Tradition« veröffentlicht werden.
Damit alle bisherigen und künftigen »Panther«-Gedichte mit nur einem Klick übersichtlich zugänglich sind, wurden die entsprechenden Folgen mit dem Tag »Der Panther« versehen; entweder unten auf den Tag klicken oder hier auf den nachfolgenden Link, dann steht die ganze »Panther«-Familie versammelt da (Helmut Krausser, Alex Dreppec, Karsten Paul, Patricia Falkenburg, Jan-Eike Hornauer, Volker Maaßen und Michael Hüttenberger sind, neben den oben bereits genannten, die Namen ihrer Erzeuger): https://www.dasgedichtblog.de/tag/der-panther/