Gedichte mit Tradition, Folge 42: »An die Neugeborenen«

»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer

 

Matthias Kröner

An die Neugeborenen

Was sind das für Zeiten, in denen es fast ein Verbrechen ist,
mehr als fünf Kilo zuzunehmen,
während sich anderswo
Menschen von Müll ernähren.
Schlankheit und Überfluss sind Kontrahenten.

Wirklich, ich lebe in spaßigen Zeiten!
Das Handy spielt Mozart
und nervt in den öffentlichen Verkehrsmitteln
die Pendler.
Ich wäre gern intolerant, würde ihnen die Dinger
aus ihren Händen reißen,
um sie auf den Boden zu Schrott zu treten.
Alles hinzunehmen,
sich nicht mehr dagegen zu wehren,
gilt noch immer als tolerant.

Wirklich, wir leben in spießigen Zeiten!

Ins Internet flüchtete ich zur Zeit der Katastrophe
des Klimas. Die Kriege verstecken sich
hinter Bildschirmen und Monitoren.
Politiker ohne Selbstironie sind gefährlich.
Und die großen Fragen
finden woanders statt.

Ihr aber,
die Ihr aus den Windeln erwachsen werdet,
gedenkt unserer
mit Verachtung!
 

© Matthias Kröner, Lübeck
 

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Gedichte mit Tradition»Gedichte mit Tradition« im Archiv

Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.

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