»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Karsten Paul
ottos tod
ottos tod hockt monochrom
vorm hoftor
otto: ogottogottogott
ottos tod lockt: komm otto komm
komm fort von dort
wo doch bloß not wohnt
otto stockt
ottos mops grollt
ottos tod droht: los doch los
komm schon otto pronto
sonst …
doch ottos mops
tobt los: wow wow wow
hochrot
trollt ottos tod
fort
otto lobt: toll mops
otto holt schoko
ottos mops hopst
© Karsten Paul, Nürnberg
+ Das Original
Unübersehbar bezieht sich »ottos tod« von Karsten Paul auf den Klassiker »ottos mops« von Ernst Jandl, dieses rund 50 Jahre alte O-Vokal-Gedicht, das schon seit Jahrzehnten den meisten Deutschen bereits im Grundschulalter begegnet – und teilweise eine der ersten Begegnungen mit Lyrik überhaupt darstellt. Dabei hält sich das Paul-Poem enger an das Original als die meisten von »ottos mops« inspirierten Gedichte, deren Anzahl unüberschaubar ist: Der Vokal ist derselbe, Interpunktion, konsequente Kleinschreibung sowie allgemeine Versgestaltung folgen dem Original, und der Mops ist das zentrale Tier – wobei er bei Paul nun Gutes tut und es ihm überdies am Ende selbst prächtig ergeht, hier dreht Paul das Original, das mit einem speienden Vierbeiner schließt, sehr charmant ins Gegenteil.
Neu – und ein recht ungewöhnlicher Einfall – ist natürlich auch, dass eine dritte handelnde Figur auftritt. Zumeist verbleiben die Hommage-Poeme bei dem Jandl-Konzept des Originals: ein Mensch und ein Tier interagieren in (un-)trauter Zweisamkeit. Unverkennbar blitzen auch zahlreiche Motive und Versatzstücke aus »ottos mops« auf (z. B. das Holen von Essbarem, hier nun Schoko statt Obst; der Ausruf »ogottogott«, der hier allerdings zu Beginn statt final erfolgt und, wegen der noch größeren Schreckenssituation, leicht gelängt ausfällt; das Hopsen, welches nun jedoch die Glückssituation am Ende illustriert, ein Freudenhopsen ist, statt, wie bei Jandl, ein Forthopsen und damit ein Katastrophenauslöser; die Aufforderung zur Bewegung, nun allerdings geht es um ein Herlocken statt um ein Fortschicken und die Zielfigur ist Otto und nicht sein Mops).
+ Zum Autor
Karsten Paul wurde 1970 in Kaufbeuren geboren und lebt heute in Nürnberg. Der als Hochschullehrer tätige Psychologe kann zahlreiche Fachpublikationen vorweisen und reüssiert inzwischen auch als belletristischer Autor: Seine Gedichte werden in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht, zuletzt u. a. in der Print-Anthologie »Der schmunzelnde Poet. Neue komische Gedichte« sowie in der Online-Sammlung »Wenn Liebe schwant« (beide hg. v. Jan-Eike Hornauer, erschienen bei Candela resp. hier auf DAS GEDICHT blog). Mehrfach wurde Paul bei Lyrikwettbewerben ausgezeichnet, zuletzt beim »Hochstadter Stier« 2014 (Publikumspreis 1. Platz) und beim »Jokers Lyrik-Preis« 2013 (TextArt-Sonderpreis).
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.