Jürgen Bulla (*1975)
- Lyriker aus München
- Jürgen Bulla wurde in München geboren. Dort studierte er nach dem Abitur Germanistik, Anglistik und Philosophie. Nach einem einjährigem Aufenthalt in England nahm er seine Arbeit als Lehrer für Deutsch und Englisch an einem Gymnasium auf. Er lebt und arbeitet in München.Seit 1995 veröffentlicht Bulla Gedichte in Zeitschriften und Anthologien, 1999 erschien sein erster Lyrikband »Glas« im Black Ink Verlag. Außerdem beteiligte er sich an der Übersetzung der Gedichte von Richard Dove und Michael Hamburger aus dem Englischen. Jürgen Bulla engagierte sich 1996 als Mitveranstalter des Müchner Poetry Slam im »Substanz«.Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen zählen der Lyrik-Band »A8 Gedichte« (in Zusammenarbeit mit Alexander Holzpafel, 2007), das Hörbuch »Schattenwerfen« (2008) sowie der Gedichtband »Poolparty« (2009). Zusammen mit dem Künstler Christoph Hessel veröffentlichte er 2011 »Die neuen Nothelfer«.
In loser Folge stellt Franziska Röchter für dasgedichtblog die Teilnehmer des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« am 23.10.2012 in München vor. Sie sprach mit Gipfelteilnehmer Jürgen Bulla über Gedichte als leises Angebot.
»Die Freude an Gedichten vergeht schnell, wenn man sie im Stile von Wissensvermittlung behandelt.«
Jürgen Bulla
dasgedichtblog: Jürgen Bulla, Sie haben im vergangenen Jahr ein kleines wunderschön illustriertes Bändchen mit dem durchaus zeitgeistigen Titel »Die Neuen Nothelfer« veröffentlicht. Sind Ihre 14 Nothelfer ein Hinweis darauf, dass wir in einer therapiewütigen und behandlungsbedürftigen Gesellschaft leben?
Jürgen Bulla: Sicher setzt sich die Glaubens- und Sinnkrise, die im Grunde schon in der Aufklärungszeit begonnen hat, weiter fort. Man muss nur das boomende Sektenwesen betrachten oder sich die zahllosen Verschwörungsfilme und -bücher ansehen, um schnell festzustellen, dass die Leute auf der Suche nach etwas sind, woran sie glauben bzw. woran sie sich orientieren können. Allerdings haben wir mit dem Nothelferbuch keinen Lebensratgeber vorlegen wollen, im Gegenteil: Das Projekt trägt deutlich ironische Züge, die von uns ins Feld geführten Nothelfer – sei es der New Yorker Feuerwehrmann, die Esoterik, der Arzt oder der Alkohol – sind in ihrer Hilfsfunktion allesamt fragwürdig.
dasgedichtblog: Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Büchlein gekommen? Existierten die 14 Graphiken bereits, und dann kamen Ihre Texte hinzu, oder ist beides parallel entstanden?
Jürgen Bulla: Die Idee hatte mein Freund und Künstlerkollege Christoph Hessel, der sich in seinen Arbeiten schon lange mit der Bibel als ideengeschichtlichem Leitbild des Abendlandes, aber auch als Klotz am Bein, auseinandersetzt. Die Radierungen waren in Entwürfen schon vorhanden, ehe ich die Texte dazu schrieb. Bei einer castingartigen Kunstausstellung in München war es Aufgabe der Besucher, aus den vielen Entwürfen in einer Art public voting die – auch im Hinblick auf ihre Helferqualitäten – überzeugendsten Nothelfer auszuwählen. Diese wurden dann von Christoph Hessel weiter bearbeitet, während auch meine Texte entstanden. Die Texte habe ich recht vielschichtig anzulegen versucht. Sie enthalten alle Alltagsgespräche in Umgangssprache, banale Situationen, aber auch intertextuelle Verweise und Anspielungen auf die Bibel.
dasgedichtblog: Wie lebt es sich als Gymnasiallehrer für Englisch und Deutsch mit der lyrischen Leidenschaft?
Jürgen Bulla: Die Lyrik führt an der Schule genau wie im ›richtigen Leben‹ häufig ein Schattendasein, bleibt ein Beschäftigungsfeld für die Wenigen, die wirklich Zugang finden. Sie kommt jedoch in beiden Fächern vor und oft sind Gespräche über Gedichte mit Schülern deutlich intensiver und beiderseits inspirierender als die Auseinandersetzung mit Romanfiguren, Erzähltechniken etc. Ich denke schon, dass gelungene Gedichte Kinder und Jugendliche sehr ansprechen können.
»Schüler können in dem Moment etwas mit Gedichten anfangen, in dem sie sich einen eigenen Umgang mit dem Text zutrauen.«
dasgedichtblog: Wie versuchen Sie, Ihre Schülerinnen und Schüler für die Lyrik oder auch für kreatives Schreiben zu motivieren und begeistern?
Jürgen Bulla: So paradox es klingen mag, ich versuche vor allem, sie mit der Lyrik in Ruhe zu lassen. Die Freude an Gedichten vergeht schnell, wenn man sie im Stile von Wissensvermittlung behandelt. Ich versuche Gedichte als leises Angebot gewissermaßen an den Rand des Tisches zu legen, der ein oder andere wird langsam darauf aufmerksam. Weiter versuche ich dann zu vermitteln, dass es zwar schon so etwas wie objektive Kriterien zur Analyse von Gedichten gibt, man aber trotzdem häufig nicht von richtig oder falsch reden muss, und es vor allem nicht darum geht, einer vorgegebenen Lehrermeinung auf die Schliche zu kommen. Schüler können in dem Moment etwas mit Gedichten anfangen, in dem sie sich einen eigenen Umgang mit dem Text zutrauen.
dasgedichtblog: Sie haben sich auch schon als Veranstalter von Lyriklesungen betätigt. Welche Veranstaltungen waren das und welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Jürgen Bulla: Ein Jahr lange habe ich die Lesereihe »Season II«des Black Ink Verlags kuratiert, die einmal im Monat in der Buchhandlung »Buch in der Au« in München stattfand. Ich habe damals ausschließlich Lyriker eingeladen, unter anderem auch Andreas Altmann und Hellmuth Opitz, die einen vergleichsweise weiten Weg nach München hatten. Die Reihe war vom Kulturreferat der Stadt München mit einem minimalen Betrag gefördert, ohne den es anschließend nicht mehr ging.
Mittlerweile veranstalte ich schon seit drei Jahren gemeinsam mit dem Kulturmanager Johan De Blank die Reihe »Lyrik im Caveau« in einem Schwabinger Atelier, die sich als unaufgeregtes Kleinprojekt ohne großen Aufwand als literarischer Geheimtipp in München etabliert hat. Man möchte es nicht glauben, aber es gibt in dieser Stadt – Millionenstadt immerhin – nichts Vergleichbares.
dasgedichtblog: Im Jahr 1996 waren Sie Mitveranstalter des legendären Münchner Poetry Slams im Substanz Club. Wie kam es, dass Sie diese Tätigkeit nur ein Jahr lang ausgeübt haben?
Jürgen Bulla: Wir hatten damals ein Konzept, das mir zu sehr in eine musikalische anstatt einer literarischen Richtung ging. Außerdem hat es mich gestört, dass immer nur die lauten Texte wirklich gehört wurden, und vieles doch etwas klamaukig wirkte. Ich habe die Slams aber nie verurteilt, nur irgendwann festgestellt, dass sie nicht ganz meinen literarischen Interessen entsprechen.
dasgedichtblog: Führen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler an die Welt des Poetry Slams heran, oder sind Sie eher gegen den Wettbewerbs-Charakter in der Literatur?
Jürgen Bulla: Ich weise in einem recht neutralen Tonfall darauf hin, dass es solche Veranstaltungen in unserer Nähe gibt, rate dann schon auch dazu, sich das einmal anzusehen. Gerade für Schüler ist der Slam oft ein guter Einstieg in die Welt der Literatur, weil er sie von der Idee abbringt, Literatur sei etwas Steifes, Langweiliges, Verkopftes.
dasgedichtblog: Was, glauben Sie, könnte die Situation der Lyrik insgesamt nachhaltig positiv beeinflussen?
Jürgen Bulla: Lyrikfestivals, deutlich mehr Förderpreise, deutlich mehr Gelder von den Gemeinden, eine Gleichstellung mit der Prosa!
dasgedichtblog: Herr Bulla, herzlichen Dank.
Jürgen Bulla: Danke auch.
Video: Jürgen Bulla, Italiens iambische Hintern
Jürgen Bulla / Christoph Hessel
Die neuen Nothelfer
Black Ink Verlag, München, 2011
44 Seiten
978-3-930654-32-1
Euro 14,00 [D]