Uwe-Michael Gutzschhahn (*1952)
- Lyriker aus München
- Uwe-Michael Gutzsch-hahn studierte Anglistik und Germanistik. Er war viele Jahre als programmverantwort-licher Lektor in diversen Verlagen tätig und lebt heute als Autor, Übersetzer, Heraus-geber und freier Lektor in München. Uwe-Michael Gutzschhahn schreibt Erzählungen, Kinder- und Jugendbücher und Gedichte. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet.
Der Lyriker Uwe-Michael Gutzschhahn, Teilnehmer beim »Internationalen Gipfeltreffen der Poesie« am 23.10.2012 in München, stellt sich den Fragen unseres dasgedichtblog-Fragebogens.
Lyriker-Steckbrief
Name / Vorname: Gutzschhahn, Uwe-Michael
Geburtsdatum: 31.1.1952
Geburtsort: Langenberg im Rheinland
Augenfarbe: Blau
Größe: 1,80 m
Wohnort (mit Bundesland): München (Bayern)
Aktueller Gedichtband (mit Erscheinungsjahr, Erscheinungsort, Jahr und Verlag): Unsinn lässt grüßen (Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2012)
23 Fragen an den Lyriker Uwe-Michael Gutzschhahn
und ein Satz zum Ergänzen
1. Wann sind Sie zum ersten Mal mit einem Gedicht in Kontakt gekommen?
Ganz sicher schon in frühester Kindheit – mit Abzählreimen beim Spielen, Kinderreimen, die vorgelesen wurden, Sprachspielen … Und dann natürlich die ganze Schulzeit hindurch, von der ersten Klasse in der Volksschule bis zum Abitur, wo es, wenn ich mich richtig erinnere, die Auswahl zwischen Rilke und Georg Heym gab. Ich habe mich für Heym entschieden.
2. Haben Sie den ersten Kontakt mit Lyrik in positiver oder negativer Erinnerung?
Ich glaube, jedes Kind liebt Reime, Klänge – auch wenn es ein Gedicht inhaltlich nicht versteht. Es hört das Gedicht, folgt der Melodie, behält Laute im Kopf, fängt an, die Laute weiterzutragen, neue hinzuzuerfinden. Das ist das Wunderbare am Gedicht. Und ich gehöre noch zu einer Generation, die Gedichte – Balladen – auswendig lernen musste, was für mich gar kein Zwang war. Ich konnte mir Wörter und Reime gut merken und erzählte sie – wenn sie einmal im Kopf waren – immer wieder vor mich hin. Das war viel leichter, als sich Geschichten zu merken, von denen man vielleicht den Inhalt behält, aber selten die Worte.
3. Wann haben Sie Ihr erstes Gedicht geschrieben und wie lautet dessen Titel?
Meine Mutter hat mal gesagt, ich hätte als kleines Kind schon Verse erfunden. Das weiß ich nicht, ist aber anzunehmen. Die ersten Gedichte, an die ich mich tatsächlich erinnere und die sich in Papierform nachweisen lassen, stammen aus der Zeit, als ich zehn, elf Jahre war … und dann mit 14 ging es richtig los. Da habe ich oft jeden Tag (oder jede Nacht) geschrieben. Die ersten Gedichte hatten keine Titel, so wie die meisten Kinderverse keine Titel haben.
4. Wo haben Sie Ihr erstes Gedicht veröffentlicht?
In einer kleinen alternativen Literaturzeitschrift in Dortmund, wo ich damals lebte. Das waren zwei Gedichte über Bilder von Malern des Expressionismus. Es muss 1970 gewesen sein.
5. Was haben Sie der Lyrik zu verdanken?
Meinen Zugang zur Literatur, mein Empfinden für Sprache, mein Bewusstsein, dass zur Literatur, zu jedem Buch eine Melodie der Sprache gehört, ein inwendiger Ton, ohne den kein Werk Ausstrahlung bekommt. Aus der Musik der Sprache ergibt sich der Raum, in dem Literatur auf den Leser wirkt, ihn in Bann zieht. In meiner Arbeit als Übersetzer, der ich seit nunmehr zwölf Jahren hauptberuflich nachgehe, ist diese Sprachmusik das, wonach ich suche, das, was ich im Deutschen jedes Mal neu erfinden muss.
6. Was treibt Sie zum Schreiben von Gedichten an?
Ein Sprachimpuls, der Gehörtes, das in mir schlummert, plötzlich hervorholt, anklingen lässt, Raum schafft zum weiteren Spiel mit Wörtern, Klängen, Gedanken, Assoziationen.
7. Was macht für Sie den Reiz der Poesie aus?
Die Auslotung der Sprache, ihrer Möglichkeiten, über das bloße Benennen hinaus zu wirken, Bilder zu evozieren, Räume zu schaffen, Sehweisen zu verändern. Poesie ist einer der wenigen Orte, an dem wir unsere Sprache ganz genau und wörtlich nehmen.
8. Ihr Lieblingsschriftsteller?
Ich hasse solche Fragen, weil sie festlegen. Es ist tagesabhängig, es ist abhängig von meiner eigenen Stimmung. Ich bewundere Goethe und Heinrich Heine, die Romantiker, ich bewundere die Gedichte des Expressionismus, ich verehre Günter Eich und Ernst Meister, Christoph Meckel und die wunderbaren jüngeren Lyriker Jan Koneffke und Arne Rautenberg – und habe in der Aufzählung unentschuldbar viele andere schmählich vergessen. Was die Unsinnspoesie betrifft, so gibt es noch viele andere – Morgenstern, Ringelnatz, Jandl, Peter Maiwald, Paul Maar … Sie alle sind Sprachakrobaten und alles wirkt so leicht wie im Zirkus, so schwingend. Genau das ist für mich ein ganz wesentlicher Teil der Poesie.
9. Ihr Lieblingskünstler?
O Gott. Da geht es genauso. Ich bewundere die alten italienischen Meister – Giotto, Frau Angelico –, ich liebe Hieronymus Bosch, Breughel, Goya, Caravaggio, die Gentileschi, ich begeistere mich für Miro, Leger, Matisse und Morandi. Und da ist Francis Bacon und ein noch relativ unbekannter englischer Maler, Richard Ennis, der entdeckt werden müsste. Und wieder habe ich viele wichtige Namen vergessen.
10. Ihr Lieblingsmusiker?
Nein, es gibt nirgends nur einen einzigen. Wie soll ich Mozart ohne Haydn nennen, Beethoven ohne Bach. Aber ich gehe mehr in den Konzertsaal als in die Oper, das ist vielleicht interessant. In der Popmusik ist es genauso … Namen, Namen, Namen … aber im Moment ist meine Lieblingssängerin die Amerikanerin Beth Hart, die von Blues und Rock beeinflusst ist, wie ich auch.
11. Ihr Lieblingsfilm?
Ich liebe die alten Woody Allen, zum Beispiel »Manhattan« und vieles andere …
12. Ihre Lieblingsfarbe?
Ein tiefes, sattes Blau.
13. Ihr Lieblingswort?
Wundertüte.
14. Ihr Lieblingsvers?
»Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei / Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.« Aus dem Gedicht »Weltende« von Jakob van Hoddis.
15. Ihr Lieblingsgedicht?
»Dämmerung« von Alfred Lichtenstein.
16. Ihr größter Fehler?
Jetzt eine Rangordnung zu versuchen.
17. Was loben Ihre Freunde an Ihnen?
Vielleicht die Mischung aus Beharrlichkeit und Ausgeglichenheit.
18. Mit wem würden Sie gerne gemeinsam auftreten?
Mit Arne Rautenberg auf einer Nonsense-Lesung.
19. Wem möchten Sie nicht in der Sauna begegnen?
Ich möchte überhaupt niemandem in einer Sauna begegnen. Mir zuliebe und den anderen zuliebe.
20. Welcher Vorzug von Ihnen wird verkannt?
Das ist mir egal.
21. Was war Ihr bislang schönstes Erlebnis mit einem Gedicht?
Vor vielen Jahren, 1979 oder 1980, als gerade mein zweiter Gedichtband »Fahrradklingel« erschienen war, sah ich mich plötzlich von den Veranstaltern eines Lyrikfestivals in Oldenburg verdonnert, in einer Schulklasse vor 11- oder 12-jährigen Schülern zu lesen, und überlegte, welches Gedicht für meine Zuhörer geeignet sein könnte. Ich entschied mich für ein Erzählgedicht, eine Art Reisegedicht mit dem Titel »In der Hitze des Mittags«. Darin gibt es eine Schrecksekunde, ein Bild, dessen Zeilen lauten: »… einmal lief / eine Katze uns quer vor den Wagen / wir erschraken auffahrend vor / ihrem Leben und saßen von da an / zusammengekauert in unserer Übelkeit / …« Es ist noch immer ein schönes Gedicht, aber damals lauschten die Kinder gebannt dem Gedicht und fingen danach an zu erzählen, von Katzen und anderen Tieren, von ihrer Trauer, ihrer Melancholie, ihrem Alleinsein mit sich. Ich war mit den Kindern allein in einem Raum, der sich auftat … Das habe ich nie mehr vergessen.
22. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Dass Lyrik weder als schwierig noch als verzichtbar betrachtet wird, sondern als Erlebnisraum für die Phantasie, die Sprache. Dass Lehrer nicht nur das Interpretieren beibringen, sondern das Erleben von Lyrik, ihrem Klang, ihrem Vorstellungsraum, was sein könnte. Und das der Reichtum unserer Sprache endlich wieder bewusster wahrgenommen wird.
23. Welche Nebeneffekte im Literaturbetrieb wären für Sie verzichtbar?
Der Hype um Stars, das Sich-allzu-wichtig-Nehmen mancher Kritiker, überhaupt die große kulturelle Eitelkeit.
Und zum Abschluss eine Satzergänzung:
Wenn ich nochmals auf die Welt käme, würde ich…
… nicht wissen, dass ich schon mal da war, und hätte also keinen Vergleich, um etwas besser oder anders zu machen. Ich würde einfach leben und das wäre gut, so wie es jetzt gut ist – trotz aller Mängel und Fehler.
Uwe-Michael Gutzschhahn
Unsinn lässt grüßen
Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2012
48 Seiten
ISBN 978-3-8369-5482-2
Euro 14,95 [D]
[…] versammelt (sie enthält übrigens erstmals auch einen Sonderteil mit Gedichten für Kinder, den Uwe-Michael Gutzschhahn redaktionell betreut […]