Im babylonischen Süden der Lyrik, Folge 118: Juan Manuel Roca – »Monologe« und mehr

Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.

 


Juan Manuel Roca

Voy por la calle con mi maletín de antílope
Y mi billetera de becerro.
Calzo zapatos de toro
Y llevo un blusón rojo teñido en achote.
Toda mi ropa fue lavada por un secreto río
Y jabones de rosa.
En mis papeles rumora un viejo bosque,
Por momentos siento
Que se despereza la serpiente del cinturón.
Hay vestigios de clorofila en mis dientes.
Escribo con carboncillos de sauce.
Me pregunto qué trozo soy del paisaje.

* * *

Juan Manuel Roca

Ich geh auf der Straße mit meiner Antilopentasche
Und meinem Kalbslederportemonnaie.
Ich trage Schuhe vom Stier
Und ein orleanrotgefärbtes Hemd.
Meine ganze Kleidung wurde mit Rosenseifen
Von einem geheimen Fluss gewaschen.
In meinen Papieren rauscht ein alter Wald.
Von Zeit zu Zeit verspüre ich, dass
Die Gürtelschlange sich rekelt.
Es gibt Chlorophyllspuren auf meinen Zähnen.
Ich schreibe mit Zeichenkohle aus Weide
Und frage mich, welches Stück Landschaft ich bin.

Übertragen von Juana und Tobias Burghardt



Manuel Roca (Foto: Edition Delta)

Zu Juan Manuel Rocas herausragenden Titeln zählt der Gedichtband »Monólogos« (»Monologe«), der 1994 beim Verlag El Áncora Editores in Bogotá erstveröffentlicht wurde und nun erstmals vollständig in seiner vierteiligen Originalkomposition vorliegt. Die Kapitelüberschriften »Nachtbewohner«, »Vom zirzensischen Mondkalender«, »Breviarium der Uhren« und abschließend »Auf den Namen Babylons« geben einen Vorgeschmack auf die vielfältigen Selbstgespräche ihrer Protagonisten, die der Autor Juan Manuel Roca, der sich als Übersetzer seiner selbst versteht, aus dem Hut seines eigenen schöpferischen Selbst hervorzaubert. Die poetologische Achse dabei lautet: Wasser – Spiegel – Zeit –Schreiben.

Sein Titel »El ángel sitiado y otros poemas« (»Der belagerte Engel und andere Gedichte«), der aus dem Jahr 2006 stammt, handelt dann von diversen Engeln und anderen Dämonen, hier geht es um den Moment, in dem sich Traum und Wirklichkeit berühren. Was immer gilt: Jedes Gedicht von Juan Manuel Roca bildet mit seinen überraschenden Blickwechseln, rhythmischen Wendungen und ironischen Akzenten ein imaginäres Universum, das es genussvoll zu entschlüsseln, in vergnüglicher Muße zu genießen gilt.

Oder wie es der Dichter Juan Manuel Roca äußert: »Die Poesie ist für mich eine Form des Denkens, die manchmal in Bildern oder Rhythmen oder Stimmungen vorkommt, aber dies ist immer von einem Gedanken umgeben.«

Mehr zu Juan Manuel Roca, einem auch hierzulande angesehenen Dichter aus Lateinamerika, genauer gesagt aus Kolumbien, findet sich etwa in Folge 33 von »Im babylonischen Süden der Lyrik«, in Folge 34 dieser Reihe, in Folge 89 sowie in Folge 90.



Juan Manuel Roca
Monólogos & El ángel sitiado y otros poemas –
Monologe & Der belagerte Engel und andere Gedichte
Gedichte (zweisprachig: Spanisch – Deutsch)

Edition Delta 2025
Klappenbroschur
128 Seiten
20,00 Euro [D] (22,00 Euro [A/CH])
ISBN 978-3-927648-89-0

 

Tobias Burghardt. Foto: privat
Tobias Burghardt (Foto: privat)

Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Essayist, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte den Essayband »Ein Netz aus Blicken. Essays für lateinamerikanische Lyrik« und mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie sowie »Septembererde & August-Alphabet«. Zuletzt erschien seine Werkauswahl »Mitlesebuch 117« (Aphaia Verlag, Berlin/München 2018), sein aktueller Gedichtband »Die Elemente der See« und die umfangreiche Werkauswahl 19912021 »Das Gedächtnis des Wassers«.  2020 erhielt er den Internationalen Poesiepreis »Città del Galateo – Antonio de Ferrariis« in Rom, Italien. Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, Indien, im Irak, in Japan, Kolumbien, Portugal, Serbien, Schweden, Uruguay und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet.

Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem »Internationalen KATHAK-Literaturpreis« in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, und als Verlagsteam der Edition Delta mit dem »Deutschen Verlagspreis 2021« und dem »Deutschen Verlagspreis 2024« des Kulturstaatsministeriums, Berlin, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.

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