Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.
Wolfgang Oppler ist ein Mann mit vielen Facetten. Der bairische Sympathieträger, für den Bier als Lebensmittel zählt, sprach mit Franziska Röchter über slamtaugliche Lyrik, seine neuen Betätigungsfelder und über unverzichtbare Bestandteile des Lebens.
Genießen tu ich schon arg gern.
Lieber Wolfgang, laut eigenem Bekunden brichst du »eine Lanze dafür, die Übel der Welt mit warmem Käse zu überbacken«. Deine Gedichte handeln vom Schnaps und von Zwetschgenknödeln, von Gullydeckeln und vergessenen Ostereiern, von Nacktschnecken, Herzschrittmachern und natürlich vom Bärendreck. Was hat es mit dem Bärendreck auf sich?
Als Bärendreck bezeichnet man in Bayern die Lakritze. (Entgegen anderslautender Mythen im Norden der Republik ist die Lakritze auch südlich des Weißwurstäquators durchaus bekannt und beliebt!) Da ich den Bärendreck seit jeher sehr schätze, hat er Eingang in eine Reihe meiner Gedichte gefunden. Zum Beispiel in das Gedicht, in dem ich das Erlebnis verarbeitete, wie ich in Australien in einem Supermarkt Lakritz-Schnecken gefunden (und natürlich sofort erworben) habe. Übrigens habe ich bei fast allen meinen Lesungen reichlich Bärendreckschnecken für die Feinschmecker unter den Zuhörern dabei.
Zu deiner Lyrik sagst du selbst: »Meine Gedichte sind nicht mit der Zielsetzung geschrieben, zur Lyra gesungen zu werden, sondern zur Basstuba. Folglich handelt es sich nicht um Lyrik, sondern um Basstubik.« Hast du das schon mal auf der Bühne ausprobiert?
Oh ja, ich hatte Anfang dieses Jahres eine wunderbare Lesung in Innsbruck. Da haben die Veranstalter extra ein Bläserquintett der Innsbrucker Musikschule eingeladen, mit dem ich mich traumhaft ergänzt habe. Ein besonderer Clou war, dass der Leiter der Musikschule das Autokennzeichen »Tuba-1« hat.
Als »gestandener Realpoet süddeutscher Prägung« mit einer großen lyrischen Wahlverwandtschaft schreibst du über Dinge, die wirklich wichtig sind im Leben: über kulinarische Genüsse wie Kaffee und Schokolade, Zwetschgenknödel und Schnaps. Oder du gibst Kindern gute Ratschläge, wie man am besten Mutters Schokovorräte stibitzt, ohne dass es auffällt – also sozusagen lebenspraktisches Grundwissen. Fallen dir diese Texte ein, wenn du selbst genießt, oder wie kommen sie zustande?
Genießen tu ich schon arg gern. Und das war wohl schon als Kind so. Nicht wenige meiner Erinnerungen an die Kindheit haben mit solchen kulinarischen Erlebnissen zu tun. Und den Ratschlag für die Kinder, dass man immer eine ganze Tafel auf einmal verputzen muss, damit keine verräterischen Reste übrigbleiben, habe ich in zartem Kindesalter von meinem älteren Bruder abgeguckt.
Wolfgang Oppler trägt sein Gedicht »Dei Bussal hod noch Blaukraud gschmeckd« vor.
https://youtu.be/pZkywli77ko
Bier ist Kultur und Religion.
In Kapitel 2 deines letzten Gedichtbands »Bärendreck und Blasmusik« (edition DAS GEDICHT, 2016) wandert das Lyrische Ich durch das Jahr, um am Ende festzustellen: »Kalender? Brauch ich nicht. Ich schau einfach aufs Bierflaschl-Etikett!« Das Bier als zentrales Lebensmittel hält für allerlei Gedichte und Überlegungen her, auf der anderen Seite stellst du aber auch tiefenphilosophische Fragen über das Wesen des Lebens (»Der Rabe redet über das Leben«). Beschäftigst du dich viel mit dem Tod, so wie in den Gedichten »Der Henker« oder »Am Galgenberg«?
Natürlich ist das Bier mein zentrales Lebensmittel. Schon in meinem ersten Gedichtband »Vaschdeggsdal« aus dem Jahr 1976 spielt das Bier immer wieder eine wichtige Rolle. Wenn mir einer eine Flasche Champagner und eine Flasche Bier hinhalten würde und ich dürfte mir eine davon nehmen, würde ich immer das Bier nehmen. Bier ist Kultur und Religion. Und es ist das Geschenk der Götter an die Menschen.
Gedichte wie »Der Henker« oder »Am Galgenberg« sind Ausfluss meines Berufs als Stadtführer. Für die Führung »Henker, Huren, Hexen« habe ich mich monatelang mit der Geschichte der Henker im Mittelalter und in der frühen Neuzeit befasst.
Andererseits ist der Tod ein unverzichtbarer Bestandteil des Lebens. Wenn man genau hinsieht, handelt »Der Rabe redet über das Leben« in erster Linie auch vom Sterben
Entweder ich halt den Mund oder ich quatsche wie ein Wasserfall.
Gleichwohl beschäftigt dich in deinem Buch offensichtlich die Polarität von Reden und Stille. In deinem Gedicht »Schweigen« schweigt sich jemand um den Verstand. Auf so eine Vorstellung muss man erst einmal kommen, gehört es nicht schließlich zum Menschen, seine Sprechwerkzeuge zu nutzen oder sich anderweitig auszudrücken?
Diese Frage lässt sich am besten mit einem ausdrucksstarken Schweigen beantworten.
Aber im Ernst, Schweigen kann ich gut. Bisserl reden geht gar nicht. Entweder ich halt den Mund oder ich quatsche wie ein Wasserfall.
In Kritik übst du dich auch – zum Beispiel am Gebührensystem des regionalen Verkehrsverbunds. Und auch die Berufs- und Bürowelt kommen nicht zu kurz. Muss man sich als Dichter zurückhalten, um nicht noch viel öfter die Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen?
Als ausgesprochen kritischen Schreiber sehe ich mich nicht. Lieber finde ich mich in der Rolle, auf die Dinge hinzuweisen, die besonders schön sind, als auf die, bei denen es nicht stimmt. Das liegt vielleicht daran, dass ich ein unverbesserlicher Optimist bin und das sehe, was im Glas noch drin ist, nicht das, was schon fehlt. Zum Glück gibt es genügend Kollegen, die den Wunden der Gesellschaft ausführlich auf den Grund gehen.
Sehr schön fand ich deinen kleinen, poetischen München-Spaziergang am Ende des Buchs (»Plätze feiern lustvoll meine Stadt«). Deine Texte schreien doch förmlich nach einer Übersetzung ins Bairische?
Das mit der Übersetzung ist so eine Sache. Von wenigen genialen Ausnahmen abgesehen verlieren Gedichte bei der Übersetzung immer. Ich kann ein Gedicht entweder von Anfang an in Mundart schreiben (was ich früher jahrzehntelang getan habe) oder in der Schriftsprache. Schwung, Stimmung, Gefühl sind da sehr unterschiedlich. Aber die Themen in dem München-Zyklus hätte man durchaus auch gut in Mundart darstellen können, das stimmt.
Apropos München-Spaziergang: Da Schreiben ja eine eher einsame Sache ist, du aber offensichtlich ein sehr kommunikativer Mensch bist, hast du dich zum Stadtführer ausbilden lassen und bringst mit »niemals nachlassender Begeisterung Fremden wie Einheimischen die Geschichte und den Zauber des Millionendorfs« näher. Ich gehe davon aus, dass deine Führungen auf Bairisch stattfinden? Wie kann man dich buchen und wie oft kommt so ein Stadtführer zu Einsatz?
Und wie die auf Bairisch stattfinden. Zum Glück werden die meisten Führungen von Menschen aus der Region München gebucht.
Bei dem Münchner Stadtführungsunternehmen »Weis(s)er Stadtvogel« bin ich seit fünf Jahren als freier Mitarbeiter tätig, komme da im Jahr meist auf etwa 100 Führungen. Natürlich kann man gezielt Führungen mit mir als Guide buchen. Will man an einer sogenannten offenen Führung teilnehmen, müsste man sich bei dem Unternehmen erkundigen, wann ich mit welchen Führungen unterwegs bin.
Für einen Stadtführer ist die Stadt Ebersberg ein Kleinod.
Mittlerweile lebst du ja in der Kreisstadt Ebersberg im Osten von München und erfreust auch dort die Leute mit Führungen. Was ist das Besondere an diesem Ort und wie bringst du es den Besuchern näher?
Was mir an Ebersberg gefällt, ist die Bodenständigkeit der Menschen hier. Da ist vieles echt und ursprünglich. Und für einen Stadtführer ist die Stadt ein Kleinod mit vielen sehr spannenden Geschichten, angefangen bei der einst mächtigen Grafenfamilie und dem früher weithin berühmten Kloster, das in seiner abwechslungsreichen Geschichte nacheinander vier verschiedene Mönchsorden beherbergte. Hier wird bis zum heutigen Tage die Hirnschale des heiligen Sebastian verwahrt, der als Pestpatron dafür gesorgt hat, dass in Zeiten, in denen die Pest ringsum ganze Städte und Landstriche entvölkert hat, in Ebersberg nicht ein einziger Krankheitsfall bekannt geworden ist. Bei einer neu konzipierten Führung trete ich als Klosterbruder Eustachius auf. Natürlich spielte beim hiesigen Kloster auch die Klosterbrauerei wieder eine wichtige Rolle.
Seit dem Frühjahr dieses Jahres bist du an der Spitze der legendären Münchner Literatenvereinigung »Die Turmschreiber« aktiv. Bringt dies viele neue Aufgaben für dich? Wie fühlst du dich dabei?
Einer muss es ja machen.
Das Faszinierende am Poetry Slam ist, dass junge Leute für Lyrik begeistert werden.
Vor kurzem hast du dich mutig und waghalsig in das Abenteuer Poetry Slam gestürzt. Wie waren deine ersten Erfahrungen? Wirst du das weiter fortführen?
Das Faszinierende am Poetry Slam ist für mich vor allem, dass junge Leute für Lyrik begeistert werden. Und dass den überwiegend jungen Autoren ganz fantastische Dinge aus der Feder fließen. Was mich irritiert, ist der Wettbewerbscharakter, das Gegeneinander statt Miteinander. Dabei ist es gar nicht leicht, als grauhaariger Spätberufener mit der oft 40 Jahre jüngeren Konkurrenz mitzuhalten. Ein handfester Exzess wegen Stress mit den Eltern liegt dem ebenfalls jungen Publikum einfach näher als ein Bericht von den Tücken einer Hüft-OP. Aber Spaß macht es halt doch, und darauf kommt es – wie bei allem im Leben – schließlich an.
Hast du es jemals bereut, deinen Brotjob im Bankwesen an den Nagel gehängt zu haben?
Den Brotjob bei der Bank habe ich viele Jahre mit Leidenschaft ausgeübt. Meine Aufgabe, die ich sehr engagiert wahrgenommen habe, bestand darin, Konflikte zwischen Bank und Kunden möglichst zur beidseitigen Zufriedenheit zu lösen. Aber als ich dann die Gelegenheit hatte, nochmal ganz neue Dinge auszuprobieren, war das eine fantastische Chance, die zu ergreifen ich nie bereut habe.
Lieber Wolfgang, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Wolfgang Oppler
Bärendreck und Blasmusik
Gedichte
edition DAS GEDICHT im Anton G. Leitner Verlag, Weßling 2016
112 Seiten, Paperback
ISBN 978-3-929433-32-6
Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.