Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.
Veröffentlichungen in zahlreichen Literaturzeitschriften und Anthologien. Knut Schaflinger hat zehn Einzelbände herausgegeben, zuletzt »Die Ungewissheit der Quadrate« (Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2017).
Knut Schaflingers Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, zuletzt war er Finalist beim Dresdner Lyrikpris 2014, Finalist auch beim Christine-Lavant-Preis, und 2005 wurde ihm der renommierte Lyrikpreis Feldkirch zuerkannt.
Niemand kennt womöglich die Gesetze der Medienwelt besser als er. Vielleicht ist das auch ein Grund für (s)ein Leben in virtueller Zurückhaltung. Knut Schaflinger, der über Jahrzehnte Chef vom Dienst der Tagesthemen war, ist es gewohnt, sich auf das Wesentliche zu beschränken.
schlagersänger wäre ein schöner beruf gewesen.
Lieber Knut Schaflinger, eigentlich wollten Sie ja mal zum Theater, obwohl Sie Wirtschaftswissenschaften und Soziologie studiert haben. Wodurch ist dieses Interesse entstanden und warum ist letztendlich dann doch nichts daraus geworden?
mein weg ins theater führte über mein interesse an der literatur. mein weg aus ihm wieder heraus kam durch die rechtzeitige einsicht zustande: nicht ausreichend begabt zu sein.
Sie waren lange Zeit als Filmemacher für das Bayrische Fernsehen tätig und haben Beiträge für die Tagesschau und die Tagesthemen erstellt. Was waren Ihre thematischen Schwerpunkte?
politik und kultur.
Ab wann hat sich Ihre literarische Ader entwickelt und gezeigt?
schon als kind. ich habe gerne reime gehört und selbst gereimt. schlagersänger wäre ein schöner beruf gewesen.
Ihr Ende 2015 im Verlag Ralf Liebe erschienener Band »Die Ungeduld der Kompassnadel« wird mit einem Zitat von Friedrich Ani eröffnet: »… die Wahrheit hatte noch ein anderes, ein verborgenes Gesicht.« Offenkundig sind Sie Ani-Fan. Was mögen Sie an ihm und seinen Werken besonders?
dass gebrochene lebensläufe nicht in scherben fallen müssen.
schreiben hieß in diesem fall: ein gefäß zu füllen.
Im oben erwähnten Band besticht die absolute Präzision und Ebenmäßigkeit im Optischen. Jede Seite hat die gleiche Zeilenlänge, die gleiche Zeilenanzahl, 5 Kapitel x 11 Gedichte. Man fragt sich, wie sehr im Nachhinein an Ihren in diesem Band enthaltenen Prosagedichten herumjustiert werden musste – und ich meine nicht nur am Zeichenabstand –, um das so hinzubekommen? Oder haben Sie selbst sich vorab eine »Wortarchitektur«, um es mit Ihren Worten zu sagen, überlegt und die Texte dann danach verfasst?
1. antwort: weil ich glaube, dass gedichte (auch prosagedichte) nicht nur sprach- sondern auch formereignisse sein können.
2. schreiben hieß in diesem fall: ein gefäß zu füllen.
Im 2017 veröffentlichten Band »Die Ungewissheit der Quadrate« setzen Sie im Wesentlichen das Schema von »Die Ungeduld der Kompassnadel« fort. Diesmal sind es 5 Kapitel x 10 Gedichte, jeder Text besteht wiederum aus exakt 15 Zeilen. Ich hoffe, wir müssen uns keine Sorgen um eine Art Zwang machen, falls ich mir den kleinen Scherz erlauben darf? Um wieder mehr Ernst walten zu lassen: Wie wichtig ist Ihnen die Form, um den Inhalt komprimieren zu können? Inwiefern stehen die beiden Bände in einem Zusammenhang? Warum gibt es im neuen Band die kleine Abweichung und pro Kapitel 10 statt 11 Gedichte?
zum scherz: sorgen sie sich bitte nicht – ich bin wohlauf!
zur 1. frage: die form zwingt mich zur verdichtung.
zur 2. frage: ja, den zusammenhang gibt es. auf die ungeduld folgt die ungewissheit und ihr ist die unendlichkeit auf der spur. hoffentlich!
zur 3. frage: antwort bleibe ich ebenso schuldig wie offenbar 5 texte.
Sie benutzen einprägsame und bedeutungsreiche Sentenzen, ja fast schon Aphorismen wie: »Zeit ist ein Fallbeil in der Farbe der Wüste« oder »Ein Blick ist eine Strecke zwischen mir und der sichtbaren Welt.« Woher nehmen sie solche Sprüche? Lesen Sie gern Aphorismen?
nein – interessieren mich nicht.
Im Augsburgwiki heißt es über Sie: »Seine Arbeit als Redakteur bei den Tagesthemen und seine lyrische Betrachtung von Welt hängen wie kommunizierende Gefäße zusammen. … Es tut ihm gut, seine durch Krise, Krieg, Krawall und Grusel versaute Sprache im Ätzbad der Poesie zu reinigen, wie er es selbst ausdrückte.« Nun sind Sie ja seit einiger Zeit im Ruhestand. Welches war Ihre letzte Sendung, erinnern Sie sich noch an einen prägnanten Bericht, den Sie ausgewählt haben, an eine Schlagzeile aus der Sendung?
ja, ich erinnere mich. die sendung hatte nur einen zuschauer: mich! und sie hieß: knut geht!
journalisten hören nie auf, solche zu sein.
Hätten Sie gerne, wenn es möglich gewesen wäre, als CvD der Tagesthemen weitergemacht? Und: Wenn das Eine, die lyrische Betrachtung der Welt, nicht ohne das Andere, die Realität und die Welt der Fakten, geht, wie steht es dann jetzt um Ihr Schreiben von Poesie?
ja, manchmal wäre ich gerne wieder dabei. in diesen zeiten zum beispiel. denn journalisten hören ja nie auf, solche zu sein und die welt auch als solche zu betrachten. für poesie mangelt es also nicht an stoff.
Was macht ein ehemaliger Tagesthemen-Redakteur, der sich ja zeitlebens mit den wichtigen Ereignissen in der Welt beschäftigt hat, nun mit der vielen freien Zeit, außer Gedichte schreiben natürlich?
am liebsten: keine sorgen! (siehe oben). geht aber nicht, schauen sie sich um.
kein twitter, kein facebook. mag ich nicht.
Wie interessiert verfolgt man noch die Nachrichten, auch im Fernsehen, wenn man selbst am besten weiß, wie Sendungen zustande kommen, wieviel beispielsweise nicht gebracht werden kann in einer Sendung? Nutzen Sie andere Informationsquellen als das Fernsehen?
1. antwort: aufmerksam
2. antwort: ja, zeitung, internet. kein twitter, kein facebook. mag ich nicht.
Wenn Sie einen privaten Nachrichtensender betreiben würden, welche Nachrichten würden Sie persönlich besonders gern unter die Menschen bringen, von welchen Entwicklungen und Umständen würden Sie öfter und intensiver berichten, als dies momentan öffentlich geschieht?
ich will und brauche keinen privaten nachrichtensender! öffentlich-rechtlicher rundfunk ist der beste, den es gibt!
Welche Eigenschaften braucht heute ein Fernsehjournalist, um erfolgreich zu sein?
ich glaube: talent und neugier. und neugier und talent.
Wie stehen Sie persönlich zur kontrovers diskutierten Aktualisierung der Pressekodex-Ziffer 12.1?
guter kompromiss.
aber nicht minder wichtig: ziffer 1: »Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.«
Lieber Knut Schaflinger, herzlichen Dank für Ihre prägnanten Antworten.
Knut Schaflinger
Die Ungewissheit der Quadrate
Lyrik
Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2017
Hardcover, 72 Seiten
ISBN 978-3-944566-64-1
Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.