von Jan-Eike Hornauer (Text und Bild)
Gauting. Wie dicht die vortragenden Poetinnen und Poeten beim zehnten Lyrikstier, der unter dem Motto »Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe« stand, insgesamt beieinanderlagen, davon zeugt folgende kleine Kuriosität: Neben Jury und Publikum vergaben abermals auch die Teilnehmer (26 aus ganz Deutschland, Nordnorwegen und Kanada waren es diesmal) selbst einen Preis – und hier kam es bei der Abstimmung zu einer beeindruckenden und erstmaligen Stimmengleichheit, gleich vier Dichter wurden auf den ersten Platz gewählt. Die Folge: Unter den Teilnehmern wurde eine Stichwahl abgehalten. Erst dann konnte der Sieger des Teilnehmerpreises gekürt werden.
Die neue Lyrikstierarena: das bosco Gauting
Was übrigens, dies war das zweite und gewichtigere Novum des Abends, an neuem Ort geschah: Erstmals fand der Lyrikstier seine Arena am Samstagabend im Bürger- und Kulturhaus bosco. Nach neun Jahren im nun geschlossenen Gasthof Schuster (Weßling-Hochstadt) hat der Poetenwettstreit hier ab jetzt ein neues Zuhause. Werner Gruban vom Theaterforum Gauting, das den im Jahresturnus stattfindenden Lyrikstier nun gemeinsam mit der Zeitschrift DAS GEDICHT ausrichtet, betonte in seiner Begrüßung: »Ich freue mich, dass der Lyrikstier ins bosco gekommen ist!« Viele Worte wollte er aber nicht machen, denn er hörte »schon das laute Klopfen – das Herzklopfen der Dichter.«
Die Preisträger des Lyrikstiers 2018
Und dieses gab es gewiss auch, schließlich hatten sich die Teilnehmer in einem Lyrikseminar intensiv auf ihren Auftritt vorbereitet, durften sie alle nur je ein Gedicht vortragen, um die Jury und/oder das Publikum zu überzeugen und wollten sie gewiss einen der Stierpreise erringen. Letzteres gelang schließlich: Karsten Paul aus Nürnberg, der den Jurypreis zugesprochen bekam, Leni Gwinner aus Herrsching, die den ersten Platz beim Publikumspreis erringen konnte, Nikolaus Högel aus Feldafing, zweiter Platz beim Publikumspreis und Renate Buddensiek aus Ratingen, dritter Publikumspreis, sowie Wolf-Dieter Grengel aus Ingelheim, der den ebenfalls von der Jury vergebenen Sonderpreis erhielt, gestiftet vom Magazin »Bayerns Bestes«, und Uta Regoli aus Magog in Québec, Kanada, die die sich beim hart umworbenen Teilnehmerpreis schließlich durchsetzen konnte.
Starke Gruppenleistung
Was aber unbedingt erwähnenswert ist: Alle Teilnehmer zeigten sich durchaus selbstsicher auf der Bühne, brachten ihre Verse klar und mit Ausdruck, und es gab nicht einmal einen Verhaspler. Eine starke Gruppenleistung! Insbesondere, wenn man bedenkt, dass zwar einige der Poeten schon wirklich auftrittserfahren waren, andere aber auch erstmalig ins Rampenlicht traten oder dies nur sehr selten tun.
Szenisch, verständlich, alltagsnah
Wie die Moderatorin des Abends, Felizitas Leitner, bei ihren einleitenden Worten betonte, hatten sich die Teilnehmer dem Motto »Nun aber bleiben Glaube Liebe Hoffnung«, das dem Hohelied der Liebe aus den Korinther-Briefen entnommen war, »mit je eigenen lyrischen Mitteln« angenähert. Entsprechend groß war die Bandbreite des Dargebotenen, stand Heiteres neben Tiefernstem, traf Formstrenges auf freie Verse, wurde gereimt oder jeder Reim peinlichst vermieden, stand große Knappheit neben sehr Langem. Was aber praktisch alle Gedichte des Abends eint: Sie waren leicht verständlich, beschrieben alltagsnahe Szenen und verfügten über eindrückliche Bilder.
Die Jury steht auf »Zitroneneis«
So erzählte etwa Jurypreis-Gewinner Karsten Paul in »Zitroneneis« von einem strahlenden Hitzewellen-Spätsommertag im Oktober, genauer von einer einfachen und leichten Liebespaarszene, in der letztlich genau dies passiert: Er kauft sich und seiner Geliebten ein Zitroneneis. Eine Kunst ist es natürlich, so eine Szene sprachlich, poetisch und auch assoziativ dergestalt aufzuladen, dass sie etwas Besonderes wird. Dies gelang Paul zweifelsohne, denn nicht nur, dass man den Zauber und die Harmonie dieses Augenblicks durch seine Verse zu spüren bekommt, nein, er lässt zudem weite Themenfelder wie nebenbei anklingen, verweist assoziativ auf sie und reichert auf diese Weise das Poem nicht nur inhaltlich an, sondern verleiht ihm etwas sympathisch Philosophisch-Augenzwinkerndes. So werden etwa die Themen Mensch und Natur und Vergänglichkeit sowie Hektik im Alltag angeschlagen (»gebräunte Haut die mit Herbstlaub harmonierte / eilige Rennräder auf der Flucht«), und es scheint, passend zum Thema des Abends, auch das Metaphysische, das Religiöse durch, so an den Stellen »und wir machten unsre Äuglein klein / im grellen Licht der Erkenntnis« sowie, als sie das Zitroneneis probiert: »da schmeckte sie dass es gut war«. In nur 14 Versen wird so eine ebenso leichte wie komplexe, verständliche wie anregende Szenerie entworfen.
Das Publikum mag’s derber
Hatte die Jury somit sehr zart Gewebtes ausgezeichnet, hielt sich das Publikum beim ersten Platz ans Deftig-Humorvolle: In »Adieu Gartenschlauch« setzte Leni Gwinner in Spoken-Word-Manier eher auf Schenkelklopfer. Das Publikum ging schon gleich beim Vortrag begeistert mit und spendete diesem Gedicht auch hörbar den größten Applaus des Abends. Dass es nachher seine Kreuzchen entsprechend auf den Stimmzetteln so setzte, dass Gwinner gewann, überraschte wenig und erschien stimmig.
In »Adieu mein Gartenschlauch« setzte sich Gwinner in lockerer Reimform 47 Verse lang mit der Frage auseinander, welches Geschlecht Gartenschläuche denn nun haben und wie sich fortpflanzen. Sie stellte fest: »Als Mann, der die Familie erhält, / wär er aufs Jagen eingestellt, / als fabelhafter Lassoheld / hätt er den längsten dieser Welt.« Und sie formulierte später: »Dingdong / Nachbars Schlauch zu kurz«. Deswegen lieh sie dem Nachbarn offenbar ihren aus, was unter anderem zur »Doppelerektion« führte und dazu, dass der Schlauch nun beim Nachbarn im »Liebesglück« verweilt, weswegen sich die Erzählerin nun zwei Kannen angeschafft hat.
Starke Effekte auch bei Platz zwei des Publikumspreises
Den zweiten Platz sprach das Publikum mit »Lamento minimalis« einem gereimten Mundartgedicht von Nikolaus Högel zu – und mit ihm einem Text, der durchaus auch auf starke Effekte setzte. In diesem Gedicht wird auf Fliegenbasis herrlich auf Bairisch philosophiert, besonders gut kam dies natürlich im ausgezeichneten Vortrag Högels zur Geltung. Dass er sich auf die Bühne besonders vorbereitet hatte, konnte man übrigens bereits an seinem Outfit erkennen: Mit markantem Hut, Weste und roten Schuhen sorgte er hier schon rein optisch für Aufsehen.
Im Gedicht beklagte Högel die wirkungsvolle und verdammenswerte Geringschätzung des Lebens einer Fliege, die ja auch liebt, Familie hat etc., durch eine Fliegenklatsche. Lustvoll wird dabei die Hinrichtung geschildert (»da Fliagnpatscha pflätsch an d’Wand / s’Facettenaug fliagt ausanand / Körpasäfte spritzen sacht«) und dann bodenständig verurteilt: »so ein bläda Menschnaff / grad zum Spass aus Juxerei / haut da s’Leem und d’Liab zu Brei«.
Oktopus-Liebesbrief auf Platz drei
Ebenfalls gereimt ist Platz drei des Publikumsvotums: Renate Buddensiek konnte ihn mit ihrem charmanten »Liebesbrief vom Oktopus« erringen. Im Paarreim und in sauberen vierhebigen Trochäen gehalten, wird in diesem Poem eine naiv-romantische Liebessehnsucht ausgedrückt, so eingängig wie niedlich und schön. »Will ja gar nicht groß spektakeln, / hielt dich gern in den Tentakeln«, heißt es da etwa, und zum Schluss »schick dir einen dicken Kuss, / hab dich lieb // dein Oktopus«.
Was sich somit insgesamt beim Publikumspreis herausstellte: Das Eingängige, Eindeutige und Effektvolle wurde vom Auditorium klar bevorzugt. Technisch Komplexes, nicht mit Reim und Rhythmus versehenes oder inhaltlich Herausforderndes konnte in seiner Gunst nicht ganz vorne landen.
Gottglauben gegen leeres Leben
Die Jury setzte da eigene und andere Maßstäbe, wie schon Karsten Pauls »Zitroneneis« zeigte, und was sich auch darin ausdrückt, dass Wolf-Dieter Grengel für »Ein Fünfter« den Sonderpreis von ihr zugesprochen bekam. Dieses Gedicht ist nämlich ein Gleichnis – und damit fällt es auch recht aus dem oben skizzierten Rahmen der sonstigen Gedichte, die ja im konkret Alltäglich-Szenischen verhaftet sind, heraus. Hier wird in nicht-lyrischer Sprache knapp und klar abstrahiert eine Versuchsanordnung beschrieben. Es geht, und dies ganz ernst, um Perspektiven aufs Dasein und um einen Pro-Religiösen Blickwinkel. »Es lohnt nicht / wozu der Aufwand / sagt einer«, beginnt das Gedicht. Dass alles bereits gesagt, versucht und gefühlt worden sei, beklagen in aller Kürze die nächsten drei namenlosen Stellvertreterprotagonisten. Der fünfte dann bekennt, dass er manchmal vermutet, »dass Gott etwas Neues erfahren will / heute / über sich / in mir«.
Stimmungsmoment im Kloster
Die Teilnehmer entschieden sich mit ihrem Preis für eine ruhige und andächtige Szene von Uta Regoli. In »Saint Benoît du Lac« beschreibt sie in sparsam gesetzten Worten ein eindrückliches Erlebnis, das sie in besagtem Benediktiner-Kloster in Quebec hatte. Neben deutschen enthält es auch ein paar französische Verse, und es fängt den Zauber eines Momentes ein. Es beginnt mit »Große Stille / traurige Gesänge«, geht auf das Momentum des Friedens ein und endet, gar nicht sehr viel später mit klarem Bezug zum Motto des Abends: »Im Seitenschiff / eine große alte Bibel / geöffnet // beim Hohen Lied«.
Hier haben die Teilnehmer also, der Jury mit ihrem Sonderpreisvotum vergleichbar, das Ernste und Religionsnahe ausgezeichnet. Zugleich ist Regolis Poem aber typischer für die Gedichte des Abends, da von Stimmung und Szene getragen. Augenfällig jedenfalls bleibt: Teilnehmer und Jury haben insgesamt das zum Nachdenken Anregende prämiert, das mit genau gesetzten Worten.
Die Mentoren und Juroren lesen
Neben den Teilnehmern des Lyrikstiers 2018 gaben auch die Mentoren des Lyrikseminars und des Poetenwettstreits, Anton G. Leitner und Sabine Zaplin, sowie die Juroren Norbert Göttler, Georg »Grögg« Eggers, Wolfgang Oppler und Melanie Arzenheimer eigene Gedichte, die zum Thema passten, zum Besten. Stiervater und DAS GEDICHT-Herausgeber Anton G. Leitner brachte erst satirische bairische Verse, in denen eine Wallfahrt zum Kloster an der verschlossenen Tür einer »Glosdaboazn« endet, was vor allem die dringliche Frage aufwirft, wie denn nun an ein Bier ranzukommen ist. Außerdem wird beschlossen, dass es ohnehin reiche, CSU zu wählen, denn durch das C im Parteinamen erlange man schon den Segen von oben durch die Wahl und müsse sich dann künftig nicht mehr einen Berg hochschleppen, nur um dort eine Kerze anzuzünden.
Dass er aber auch stiller sein kann, zeigte er im Hochdeutschen, hier hieß es etwa: »Der Tod reißt / uns dann und / wann aus / dem Schlaf.«
Nachfolgend erinnerte Leitner an Erich Jooß, der unter anderem langjährig Vorsitzender der Lyrikstierjury und Präsident der Münchner Turmschreiber war und als Autor und Herausgeber sowie in vielen weiteren Funktionen im literarischen und medialen Betrieb wirkte. Unerwartet war er im vergangenen Herbst verstorben. In seinem Angedenken trug Leitner dann das Gedicht »Fundstück« von Erich Jooß vor, in dem eine Feder nichts an Leichtigkeit einbüßt, obwohl sie von einem schwarzen Stein eingeschlossen ist.
Sabine Zaplin, Kulturjournalistin und Schriftstellerin, behandelte Themen wie Völkerverständigung, Flüchtlinge in Deutschland und Trump in den USA, indem sie einen Dialog mit einem US-Amerikaner darstellte, der zunächst vom Oktoberfest handelt und dann immer tiefer geht. Im zweiten Gedicht war schon durch den Titel der programmatische Bezug zum Abend hergestellt, er lautete »Kirchentag« – und stand freilich über kritisch-reflektierten Versen.
»Bei der Jungfrau hat’s ja auch geklappt«
Melanie Arzenheimer, Präsidentin der Münchner Turmschreiber und erste Gewinnerin des Lyrikstiers (der damals noch »Hochstadter Stier« hieß und ein reiner Publikumspreis war) bekannte in einer kurzen Vorrede: »Der Stier hat mein Leben verändert, durch ihn bin ich gedichtabhängig und -süchtig geworden.« Dann trug sie amüsante pointierte Kurztexte vor, wie die »SMS an eine Pilgerin«, die auf besseren Empfang hofft und darauf verweist: »Bei der Jungfrau hat’s ja auch geklappt.«
Der Jury-Vorsitzende Norbert Göttler, Bezirksheimatpfleger von Oberbayern und Schriftsteller, verwies poetisch darauf, dass sich die Welt alleine über Naturgesetze nicht erfassen lässt, etwa die Farbe von einer Leinwand zu kratzen nicht das Geheimnis des Bildes offenbart. Und er erklärte in einem anderen Gedicht: »Tod ist kein Name Gottes.«
Wolfgang Oppler, Präsident der Münchner Turmschreiber, sorgte für heitere Stimmung im sehr gut besetzten Saal, als er erst sein »Kindergebetchen« vortrug und dann weitere Gedichte auf Hochdeutsch und Bairisch. Unter anderem bekannte er hier, dass es bei ihm nun immer Blaukraut gebe, weil ein Busserl einmal so herrlich nach Blaukraut geschmeckt habe.
Georg »Grögg« Eggers, Physikprofessor und Verskabarettist sowie gemeinhin unter anderem mit seinem Programm »Physik des Scheiterns« auf Bühnen zu erleben, sorgte zum Abschluss des Abends mit seiner köstlichen Ballade »Die Geschichte vom depressiven Krokodil (im Nil)« für reichlich Lacher und einen gelungenen Ausklang.
Hallo Jan-Eike, Hallo Anton Leitner, habt ihr irgendwo auch die Videoaufnahmen der Lyrikstier-Lesungen veröffentlicht oder gibt es einen Link oder Ähnliches, den ich mir herunterladen könnte? Hatte in der letzten Woche soviel zu tun, dass ich das Geschehen auf FB etc nicht verfolgen konnte. Herzlichen Gruß, Paula Georges
Auf dasgedichtblog.de gibts einen großen Bericht von Eike. Videos waren nur zu Schulungszwecken gemacht worden (für die Kritik der Auftritte am Sonntag) und werden nicht veröffentlicht.