Neugelesen – Folge 32: Barbara Maria Kloos »Amorette am Schleifstein«

Literatur ist vergänglich, trotz ihrer Materialität. Denn allmählich entschwinden Bücher in Archivbibliotheken und verlassen unseren Erfahrungshorizont. David Westphal möchte in Nachfolge an die Kolumne »Wiedergelesen« dagegen anschreiben. Er stellt an jedem 15. des Monats Vergessenes und Neugelesenes in seiner Rubrik »Neugelesen« vor (in memoriam Erich Jooß, † 2017).

 

„Und wer keinen Spaß am Geheimnis hat, am Sprung ins Ungewisse, ist für die Liebe wie für die Lyrik verloren.“ – Barbara Maria Kloos

Was mache ich hier? Springe ich für andere ins Ungewisse und führe die intimen Geheimnisse von Liebe, Lyrik und ihrer magischen Verschränkung aus ihrem Schatten? Wer hat Spaß an den Geheimnissen: jener, der sie lüftet, oder jener der sie hinter ihrem Schleier lässt? Eine Suggestivfrage. Bedeutet: ich müsste jetzt eigentlich an dieser Stelle meine Kolumne abbrechen und Sie, liebe Leserinnen und Leser, dazu auffordern, einfach die Gedichte zu lesen anstatt meiner Doppelung. Mit dieser Art des Zweifelns entblößt sich meine Liebe zur Lyrik: Werde ich ihr überhaupt gerecht?

Denn es ist nicht einfach, Barbara Maria Kloosens Poeme mit Worten zweiter Ordnung beizustehen. In ihrem neuen Gedichtband Amorette am Schleifstein versammeln sich ihre Liebesgedichte von 1980 bis 2020. Die Idee allein ist schon überaus aufregend, denn es wäre naiv zu glauben, dass Liebe zwischen Teenager und Senior nicht gewaltiger Wandel widerfährt. So ist es zwar üblicherweise nicht besonders geistreich, Gedichte schlicht chronologisch zu ordnen, in diesem Fall aber raffiniert. Ein beinahe vollständiges, poetisches Liebesleben mit den schönen, schönsten, seelischen und körperlichen Merkwürdigkeiten. Kraftvoll hier, leise dort; leidend einerseits, genießend andererseits. Mitunter bizarr, aber stets hochindividuell. Keine allgemeingültigen Schmonzetten zu finden, die hätten sich auch nicht sonderlich lange am Schleifstein von Amors Gehilfen gehalten. Wie Hellmuth Opitz treffend schreibt, speisen sich die Bilder von Kloos ganz besonders aus dem Physischen, was den Schleier um die Liebe als häufig innerliches Phänomen verdichtet. Man kommt mit diesem sehr ehrlichen und authentischen Gedichtband der Liebe nicht näher, aber man ist ihr auf der Spur. Man begeht und beäugt ihre Spuren und staunt, dass das auch manchmal kräftige Bisse ins weiche Fleisch sein können.

Flankiert wird der Band mit einem Nachwort der Autorin selbst. Dieses Nachwort macht mich als Kolumnisten zu Anfang des Jahres bescheiden. Es ist kurz, dicht und sehr präzis. Es gibt keinen Grund für mich, das übertreffen zu wollen. So ist das manchmal mit der Liebe: man verzweifelt daran, einfach nicht die richtigen Worte zu finden. Und dann fragt man eine Dichterin und ist beseelt.

 

"Amorette am Schleifstein. Liebesgedichte" von Barbara Maria Kloos
Buchcover-Abbildung (Günther Emigs Literatur-Betrieb)

 

 

 

 

 

 

Barbara Maria Kloos
Amorette am Schleifstein. Liebesgedichte
Edition Hammer + Veilchen, verlegt in Günther Emigs Literatur-Betrieb 2020
Broschur, 148 Seiten
ISBN 978-3-948371-69-2

 

 

 

 

 

David Westphal. Foto: Volker Derlath
David Westphal. Foto: Volker Derlath

David Westphal, geboren 1989 in München, wo er auch lebt. Studium der Philosophie, Germanistik, Literatur- und Kulturtheorie zu Gießen und Tübingen. Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Neugelesen« finden Sie hier.

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