Neugelesen, Folge 70: »captions« von Leander Beil

Bücher können auftauchen und glänzen, aber auch einstauben und verschwinden – immer gilt jedoch, ganz gleich, wie alt sie sind: Ihre Texte wollen neuentdeckt werden! David Westphal stellt an jedem 15. des Monats Vergessenes und Neugelesenes in seiner Rubrik »Neugelesen« vor.


Das Bedeutungsfeld einer caption ist zweitrangig. Damit meine ich nicht, es sei unwichtig, dass Leander Beils Buch caption heißt. Es bedeutet, dass eine caption immer dazu da ist, etwas anderes als sich selbst verständlicher zu machen: Sie kann eine Überschrift sein, eine Bildunterschrift oder ein Untertitel in einem Film.

Beils Band besteht aus 14 Kapiteln und einem vorangestellten Abschnitt mit dem Titel »wenn du nur« sowie einem Zitat vom Philosophen Ludwig Wittgenstein: »Der Glaube an den Kausalnexus ist der Aberglaube.« Das ist also die Einstimmung auf das, was folgen wird. Kausale Zusammenhänge lösen sich in Aberglaube auf. Beim ersten Hineinlesen in Beils Gedichte wirkt das schlüssig – natürlich nicht in einem kausalen Sinne.

Die meisten der enthaltenen Gedichte haben keine Überschrift, und alle enden auf einen Schrägstrich. Die Gedichte folgen keiner strengen Form, doch es gibt Regelmäßigkeiten. Auch sind viele der Gedichte aus ein- und zweizeiligen Versgruppen zusammengesetzt. Und zusammengesetzt ist hier sehr überlegt verwendet. Denn oft wird man in einen Sinnzusammenhang eingeführt, der mitten im Gedicht gebrochen wird und nur selten Auflösung findet. Zwischenzeitlich bin ich auf den Gedanken gekommen, dass die Kapitel captions zu einem seltsamen Roadmovie sind, bei dem Schlag auf Schlag neue Bilder generiert werden. Ebenso ungeniert wird zwischen intellektuell anspruchsvollen Metaphern und alltäglicher bis zu roher Sprache gewechselt; alles in Minuskeln gehalten, nichts soll Vorrang haben.

Dieser Stil sperrt sich häufig vor einem Zugang, was, wie ich behaupte, durchaus gewollt ist. Es war also ein kluger Zug, die Autorität Wittgenstein kausale Zusammenhänge als Aberglaube deklarieren zu lassen, um in eine passende Haltung zu kommen. Wittgenstein war ohnehin der Überzeugung, dass die Poesie eine Sprache finden kann, die dort ansetzt, wo die Wissenschaft nicht mehr im Stande ist, etwas auszusprechen. Ob Leander Beil dies gelingt, muss noch ausdiskutiert werden.


Cover des Debütgedichtbandes "capture" von Leander Beil

Leander Beil
captions
Edition Offenes Feld 2025
Hardcover mit Schutzumschlag
102 Seiten
20,00 Euro
ISBN: 978-3-7597-8691-3



David Westphal. Foto: Volker Derlath
David Westphal (Foto: Volker Derlath)



David Westphal, geboren 1989 in München, wo er auch lebt. Studium der Philosophie, Germanistik, Literatur- und Kulturtheorie zu Gießen und Tübingen. Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Neugelesen« finden Sie hier.




Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert