Das Lyrikprojekt zur Lutherdekade im Themenjahr 2015
in Kooperation mit Anton G. Leitner | DAS GEDICHT
Ulrike Draesner
lasst uns über gesichtsbehaarung sprechen
nun wo ich alt werde sehe ich haare in meinem gesicht
nicht nur deutlicher sondern auch weiß – gescheckt wäre
mein bart schwarz weiß grau – so eine wäre ich
als mann. wir reden nicht darüber einzig eine schweizerin
erzählte einst wie sie jede woche – sich einen streifen
wachs auf die oberlippe klebt und reißt das schwarze
zeug. ihrer tochter brachte sie es
bei. mein altes männliches gesicht jetzt da ich knapp
fünfzig bin beginnt aus mir sich zu schieben – seine
behaarung wächst und wächst kommt aber auch sehe ich
oder sage es nur – weicher. lass über gesichtsbehaarung uns
streiten. draußen alles maien – regen gewitter die ersten
margariten auf dem balkon verblüht die untere schicht
es ist sehr exakt dieser tag im jahr 2014 bewegt
ende mai – und spreche und streite und rufe dass ich
das alles wieder- und wiedersehen will – die haare
der weizengrannen den fliehenden rennenden regen
auf dem glas das mich schützt die leichten leichen
der insekten als fracht (denn körper noch
noch-bin) – gewürfelt gescheckt
begabt mit dem unsichtbaren bart der räuber
und eckigen männer aus dem wald die treiben.
die beiden braunen kühe schon untergestellt
sah weit vor jedem donner ich am wiesenrand –
so warm so lebendbraun so maien der strich –
auch die und die parte des fells
© Ulrike Draesner, geboren 1962 in München, lebt in Berlin.
www.Draesner.de