Reisepoesie Folge 2:
Charles Baudelaire │»Parfum Exotique«

In 21 Folgen stellt die Online-Redaktion der Zeitschrift DAS GEDICHT internationale Reisepoesie aus vier Jahrtausenden vor. So können Sie sich gemeinsam mit uns auf den Weg zur neuen Ausgabe von DAS GEDICHT begeben. Die buchstarke Nummer 21 wird ab Herbst 2013 zeitgenössische Gedichte versammeln, die ums Reisen kreisen.

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http://youtu.be/MAvZ4qNVQ5g

Charles Baudelaire
»Parfum Exotique«

Wenn sich mein auge schliesst am sommerabend
Und deines heissen busens duft mich lezt
Dann bin ich in ein selig reich versezt.
An immer gleicher sonnenglut sich labend

Ein träges eiland das Natur beglückt
Mit seltnen bäumen früchten süsser säfte
Mit männern schlanken leibes voller kräfte
Und frauen deren auge freimut schmückt.

An wunderbarem strand bin ich zu gast
Im weiten hafen drängt sich mast an mast
Noch von der reise müh ein wenig düster

Indes vom grünen tamarindengang
Entschwebt ein duft und dringt mir in die nüster
Vermischt im geiste mit der schiffer sang.

(übersetzt von Stefan George als »Fremdländischer Duft«)

Über Charles Baudelaire

Charles Baudelaire (1821 – 1867) war der Sohn eines Verwaltungsbeamten und Syphilitiker – außerdem legte er mit den »Fleurs du Mal« einen Grundstein auf dem Weg in die literarische Moderne Europas. Nicht nur französische Lyriker wie Stéphane Mallarmé oder Paul Verlaine feierten in ihrem eigenen Werk die technische sowie geistesgeschichtliche Wende, die mit Charles Baudelaire und anderen Zeitgenossen einsetzt: Dieser Enthusiasmus sprang auch auf andere Länder über, wie obige Übersetzung zeigt.

Wir stellen das Gedicht aus dem »Spleen et idéal«-Abschnitt des 1957 erschienen Hauptwerks Baudelaires in der Übersetzung von Stefan George als »Fremdländischer Duft« vor – die orthographische Eigenwilligkeit Georges behielten wir oben bei. Vielleicht braucht man etwas Ironie, um Georges Angriff auf Baudelaire zu genießen: Wir haben Ihnen deshalb im Clip ein paar Möwen dazugeschaltet, um den Stressfaktor zu erhöhen, der dieser Idylle ein Gegengewicht bietet.

Diese Auswahl von Reisegedichten aus vier Jahrtausenden wird Ihnen von Paul-Henri Campbell präsentiert. Campbell ist 1982 in Boston (USA) geboren und schreibt Lyrik sowie Prosa in englischer und deutscher Sprache. Zuletzt erschien »Space Race. Gedichte:Poems« (2012). Im Herbst erscheint »Am Ende der Zeilen. Gedichte.«

Mehr Reisegedichte erwarten Sie in DAS GEDICHT 21 (erscheint im Oktober 2013).

Ein Kommentar

  1. Das ist fast mehr George als Baudelaire, und George ist zu Unrecht weithin vergessen. Dieses erstaunliche Kunsthandwerk des Reimens gerade bei G., und dann in der Übertragung eines Textes – vergleichbar etwa dem nahezu ausgestorbenenen Rundbogenbau in den Kirchen… In diesem Gedicht, das der Sonettform mehr folgt als streng gehorcht, geht es um Ferne, aber auch um Nähe und natürlich noch um manches andere – man kann es gewiss eingehend analysieren, wie die Philologen es tun (und müsste in diesem Zusammenhang näher auf Baudelaires “Fleurs du Mal” zu sprechen kommen, denen es entstammt). Aber ist der Inhalt wirklich so wichtig-? Weil es eben nicht nur aus Worten und Bildern, sondern auch aus Klängen, insb. durch besagten Reim hervorgerufen, besteht und musikalische Qualitäten hat, kann man das Gedicht auch einfach wie eine wunderschöne Wortmusik an sich vorbeiziehen lassen – und vielleicht ist es sogar in erster Linie so gemeint. (In diesem Fall tritt auch noch der Geruchssinn hinzu.) In der geheimnisvollen Sprachmagie, die dieses Werk fast zu einem eigenen macht, war G. absoluter Meister, was ihm zu Lebzeiten eine Menge Schüler bescherte, die ihn anbeteten und glaubten, eine Zukunft ohne G. sei schlicht nicht vorstellbar. So kann man sich irren. Einziges Problem für den G.-Leser: Wenn man mehr von ihm liest, kann die Lektüre sehr gleichförmig werden! Aber keiner hat alles. Das gilt vor allem für rein G.sche Schöpfungen, in denen sich der Inhalt, anders als in diesem Gedicht, oft völlig dem Zugriff, schon gar dem leichten Verständnis des Lesers entzieht.

    Dieses war eine kleine Gedichtbesprechung bzw. der Anfang einer solchen, die sich rein zufällig ergab und erst auf Facebook stand. Sollte es passen, kann sie auch auf diesen Blog. Wenn mich wieder ein Text so anspringt, werde ich es wieder tun. Ich freue mich auf weitere Reisegedichte! Ich las erst nachträglich den Kommentar aus dem Hause AGl zu diesem Gedicht. Steht nicht in Widerspruch zu meiner Lesart, sondern ergänzt sich in gewisser Weise, glaube ich. ce

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