Reisepoesie Folge 3:
Nikolaus Lenau │aus »Faust«

In 21 Folgen stellt die Online-Redaktion der Zeitschrift DAS GEDICHT internationale Reisepoesie aus vier Jahrtausenden vor. So können Sie sich gemeinsam mit uns auf den Weg zur neuen Ausgabe von DAS GEDICHT begeben. Die buchstarke Nummer 21 wird ab Herbst 2013 zeitgenössische Gedichte versammeln, die ums Reisen kreisen.

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http://youtu.be/eOkLJZjwXNo

Nikolaus Lenau
aus »Faust«

[Faust und Mephistopheles spazieren auf dem Verdecke]

Wir wandeln auf dem Schifflein hin und her,
Das Schifflein jagt dahin im weiten Meer,
Das Meer ist mit den Winden auf der Flucht,
Die Erde samt dem Schifflein, Meer und Winden
Schießt durch den weiten Himmelsraum und sucht
In ewiger Leidenschaft, und kann’s nicht finden.
Mir ist das Meer vertrauter als das Land;
Hier rauscht es unbestreitbar in der Seele,
Was dort ich leise, dunkel nur empfand,
Dass die Natur auch ew’ge Sehnsucht quäle
Nach einem Glücke, das sie nie gewinnt;
Und was da lebt im regen Labyrinth,
Kann sich in Ruhe nirgendwo verschanzen,
Stets in den Sturm der Sehnsucht fortgerissen;
Und flücht ich nach den Grabesfinsternissen,
Muss meine Arche um die Sonne tanzen.
Nur Funken wären, jenem Brand entfahren,
Den um sein Haupt der starke Hirte schlägt,
Wo sind die Rosse, die der Hirte hegt?

(aus Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke Bd. 2, Leipzig 1911 S. 101f.)

Über Nikolaus Lenau

Nikolaus Lenau (1802 – 1850) konnte vielleicht nicht viel dafür, dass die große Reise seines Lebens ihn nach Ohio und andere Orte im nordamerikanischen Hinterland führen musste. Aber die naturlyrischen Texte wie »Niagara« zeigen das wunderbare Sensorium des im heutigen Rumänien geborenen österreichischen Dichters. Lenau wird häufig dem Biedermeier zugerechnet; seine Gefühlsprägung jedoch trägt auch die Insignien der Romantik. Seine Kunst erreicht formale, aber auch imaginative Höhepunkte besonders in seinen lyrischen Dramen – etwa im »Faust« oder dem epischen Werk »Savonarola,« die sicherlich eine Wiederentdeckung verdienen.

Diese Auswahl von Reisegedichten aus vier Jahrtausenden wird Ihnen von Paul-Henri Campbell präsentiert. Campbell ist 1982 in Boston (USA) geboren und schreibt Lyrik sowie Prosa in englischer und deutscher Sprache. Zuletzt erschien »Space Race. Gedichte:Poems« (2012). Im Herbst erscheint »Am Ende der Zeilen. Gedichte.«

Mehr Reisegedichte erwarten Sie in DAS GEDICHT 21 (erscheint im Oktober 2013).

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