Die Reihe »Sinnliche Lyrik« vereint zeitgenössische Gedichte, die mit einem sinnlichen Sprachgebrauch spielen, die in ihrer Körperlichkeit klingen und wirken. Jeden zweiten Monat, jeweils am 25., stellt Sophia Lunra Schnack eine weitere Kostprobe vor – und mit ihr einen neuen Dichter oder eine neue Dichterin.
Barbara Frischmuth
Dein Lachen
Im Geäst der Schattenmorelle
Girlanden von Stimmen
der Zeit entwunden
du vier-
oder vierzigjährig
Bachstelzen unterzwitschern
eine Wortkaskade
die sich erneut
von der Hecke stürzt
im Schnabel des Würgers
dein Sechsjährigenweinen
Neuntöter spießt
die Notlügen auf
meine Frage erst
gestern hinzugefügt ist
heute genauso alt
* * *
pilz-poesie
wie ihn ansprechen, seine
hyphen reizen, ein duftporträt
mischen mit flüchtigen substanzen?
zum reagenzröhrchen umtieren, ohne
kontrolle fällt er in mich ein.
bin ich schon pflanze, die ihn mit
zucker stärkt und sediertes
von mir erwartet?
nach spaghetti mit feingeraspeltem
trüffel, habe ich seine sporen
schon intus, folge ihm von
oben nach unten, nachwuchs
gesichert. ich rede kurz
mit einem stück
wurzelbrot: sei so gut, hefe,
nimm mich mit! ich will
wissen, wie es drinnen aussieht.
vielleicht sollte ich mir größere
augen kaufen, die ihm auf der spur
bleiben, ihn am computer
anschließen und ein längeres
gespräch mit ihm führen.
* * *
wolkendiebe
die heiserkeit der bäume, wenn
die trockenheit zunimmt, das
räuspern vor jedem ihrer 300
wörter. weltweit, angeblich
sind es an die 2000, dialekte
mit inbegriffen. wenn der
boden anhaltend staubt, schreien
sie, nicht uns ins ohr, das
für ultraschall taub ist. ihre
laute zischen gen himmel,
raketen, die die wolken zerreißen,
bloß wo sie finden, wenn
das wasser gestohlen wurde.
Das erste Gedicht stammt aus ihrem Lyrikband »Schamanenbaum«, der 1986 bei Droschl erschienen ist, die letzten beiden Gedichte sind übernommen aus »Manuskripte – Zeitschrift für Literatur« (Ausgabe 232, herausgekommen 2021).
© für alle drei Gedichte: Barbara Frischmuth, Altaussee (Österreich)
Zur Autorin:
Barbara Frischmuth, geboren 1941 in Altaussee, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Die vielfach ausgezeichnete Autorin (u. a. Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse 2013 sowie Österreichischer Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur 1995) lebt, nach Stationen in Graz und Wien sowie mehreren Auslandsaufenthalten, seit 1999 wieder in Altaussee. Inspiriert ist ihr Werk u. a. von H. C. Artmann, E. T. A. Hoffmann und James Joyce. Zu ihren größten Erfolgen zählen die Romane »Die Klosterschule« (1968), »Die Mystifikationen der Sophie Silber« (1976) sowie »Kai und die Liebe zu den Modellen« (1979), aber auch ihre zahlreichen Gartenbücher.
Zuletzt von ihr erschienen sind u. a. die drei naturverbundenen Titel: »Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen« (Gedichte, 2021), »Schaufel, Rechen, Gartenschere« (Sachbuch / Essay, 2023) und »Die Schönheit der Tag- und Nachtfalter« (Erzählungen, 2025; alle drei: Residenz).

Zur Herausgeberin:
Sophia Lunra Schnack ist selbst Lyrikerin und zudem Prosaautorin, sie schreibt auf Deutsch und Französisch. Geboren wurde sie 1990 in Wien, wo sie derzeit auch lebt. Studium der Französischen, Italienischen und Deutschen Philologie in Wien, Mulhouse und Bologna. Bisher Veröffentlichungen u. a. in manuskripte, Poesiegalerie, Das Gedicht und Signaturen. Dazu erhielt Schnack 2022 den Rotahorn-Förderpreis.
Ihr Debütroman »feuchtes holz« ist 2023 erschienen, ihr erste Kurzprosasammlung folgte in diesem Jahr mit »Worte wie Mandelblüte« (beide bei Otto Müller). Derzeit arbeitet sie am zweisprachigen Lyrikzyklus »wimpern piniengrün – cils vert de pins«.
www.SophiaLunraSchnack.com

Alle bereits erschienenen Folgen von »Sinnliche Lyrik« finden Sie hier.