Die begleitende Netz-Anthologie zu DAS GEDICHT 24,
zusammengestellt und ediert von Fitzgerald Kusz und Anton G. Leitner
Andreas Peters
Wiege
Mir wurde nicht in die
wiege gelegt die heimat,
eher die verbannung in
den ural. kein gedicht
von heine, sondern das
von mandelstamm. keine
»prawda« wurde mir
vorgelesen, sondern ein
blatt aus der bibel vom
samisdat. keine schuh-
rede gehalten von nikita
chrutschow, nur die berg-
predigt vom »Pik Lenina«.
man hat mir den mund
nicht stopfen können
mit wodka noch selbst-
gebrannten samogon,
sondern mit kuss, einem
kuss, dann stutenmilch
als aperitif. ein gedicht
fuhr mir über die lippen,
danach blutete das herz.
paar brosamen und ein
gebet in platt gaben ihr
bestes zur nacht. wera,
nadeschda, ljubow, meine
drei schwestern, kicherten
auf einem ofenbett vorm
einschlafen. sie fanden
das leben noch heiter. ich
träumte fragil: was wird
mir wohl beim aufwachen
dann in die erdgruft gelegt?
© Andreas Peters, geboren 1958, lebt in Bad Reichenhall und Salzburg (Österreich).
»DAS GEDICHT 24: Der Heimat auf den Versen«,
herausgegeben von Anton G. Leitner und Fitzgerald Kusz