Versheimat – Folge 52: »mittelmeerroute«

Die begleitende Netz-Anthologie zu DAS GEDICHT 24,
zusammengestellt und ediert von Fitzgerald Kusz und Anton G. Leitner

 

Gerald Fiebig

mittelmeerroute

wir sind allein
unter diesem Himmel, aus dem Gift und Messer herabregneten
auf dieser Erde, die Leere und Hölle ausdünstet
Rettet die Erde, … die ERDE schrie der andere Narr
Azul Aman, Text eines Asylanten, 1993

wenn wir mittags
durch die gebleichte stadt gehen,
spüren wir das brennen der scheidewand
& das schmoren auf unserer haut.
aber das sind nur der sommersmog
von der strada del sole
& die hitze unter der kuppel,
der abschirmkuppel aus eurogas.
& die schreie in der ferne & das krachen
sind nur die geräusche des freibads.

an manchen tagen bleibt es geschlossen.
der südwind bringt sandstrände
aus nordafrika mit.
die bierpreise steigen.
die autobahnen sind zu.
an manchen tagen bleibt das freibad geschlossen,
aber immer noch brennt es
wie chlor durch die nase.

an welchem tag welchen jahres
hatten wir sie nach süden getrieben,
die strada del sole hinab, zurück übers wasser,
& die abschirmkuppel geschlossen.
jetzt kommen sie abseits der autobahnen:
fremde, die schleimhaut zerfressen
von den chlorgasangriffen im krieg um das wasser,
der richtung des wüstensands folgend,
auf dem weg zu den resten
des grundwasserspiegels, zu den scherben,
von verrätern verkauft.

wer nach dem krieg
in der verwesenden stadt bleibt,
schmeckt nicht den sand in den flaschen,
denn sein mund ist verbrannt.
aber verdorrte zungen sprechen nur eine sprache,
& die schleimhaut, die zu staub wird,
ist nicht schwarz & nicht weiß.
 

© Gerald Fiebig, geboren 1973, lebt in Augsburg.

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