Die begleitende Netz-Anthologie zu DAS GEDICHT 24,
zusammengestellt und ediert von Fitzgerald Kusz und Anton G. Leitner
Leander Beil
Memo
Im Keller meines Elternhauses
werden die Fenster geöffnet vor Sommerbeginn.
Bis zum Erdkern tief
ticken die Uhren und sprechen mehr
von Geschichte als von Zeit.
Im Keller meines Elternhauses
sitzt ein alter Mann.
Und seine Arthrosefinger pochen
ihm bis in den Hals, pochen bis zum Erdkern tief.
Spinnenweben hängen in Nischen und Ecken
und die Mauern atmen schwer an ihnen.
Im Keller meines Elternhauses
sitzt ein alter Mann und ruht
auf seinen dicken Händen,
die kein gutes Kissen sind für seine Schläfen.
Und er atmet schwer an den Spinnenweben,
er atmet.
–
Im Keller meines Elternhauses
darf nicht gelogen werden.
Ich muss zugeben: Die Spinnweben hab ich
dort aufgehängt und auch die Uhren
wurden eigens aufgezogen für diesen Text.
Im Keller meines Elternhauses
findet man keinen Schlaf.
Dort sitzt ein alter Mann und wacht.
Und wenn sich die Bienen zum Sterben
hierher verkriechen, sind es seine Finger,
die den kleinen Körpern die Flügel schließen.
Im Keller meines Elternhauses
sitzt ein alter Mann
und schließt alle Flügel und Fenster
vor dem langen Winter.
© Leander Beil, geboren 1992, lebt in München.

»DAS GEDICHT 24: Der Heimat auf den Versen«,
herausgegeben von Anton G. Leitner und Fitzgerald Kusz