Zum 3. Todestag von Nikolaus Dominik (1951 – 2012): »Glück«

Nikolaus Dominik. Foto: privat
Nikolaus Dominik. Foto: privat
Zur Erinnerung an den Lyriker Nikolaus Dominik (1951–2012) publizieren wir anlässlich seines dritten Todestages am heutigen 10. September 2015 auf DAS GEDICHT blog einen »Lyrismus« aus seinem Band »Es schneit ins Herz. Letzte Lyrismen« sowie das Nachwort von Anton G. Leitner. Nikolaus Dominik zählte viele Jahre lang zu den Hausautoren der Zeitschrift DAS GEDICHT. Für die Herausgeber und die Redaktion DAS GEDICHT lebt er in seinen Versen weiter. Allen Freunden unsererer Zeitschrift und allen anderen interessierten Lesern zeitgenössischer Lyrik empfehlen wir seinen letzten Gedichtband zur Lektüre, der auch als E-Book in den gängigen Portalen downloadbar ist.
 

Nikolaus Dominik

Glück

Nur zu Zeiten erträgt
göttliche Fülle der Mensch.

Friedrich Hölderlin

in die Zeit blumen
dem Kreditkarten entkommen
schenkeln & schaukeln

zum Ganz-Körperkuss lippen
aus zwei mehren

geisten
und

nachtsonnen
Tag für Tag
 
 

Solange die Verse wo kabeln,
schelmt der Dichter ins Morgen …

Ein Nachruf auf den Lyriker Nikolaus Dominik von Anton G. Leitner

Das erste Mal begegnete mir Nikolaus Dominik im Jahr 1995, als er sich erfolgreich mit einer Auswahl von Gedichten für die Aufnahme in meine junge Zeitschrift DAS GEDICHT bewarb. Mir fiel sofort der eigenständige lyrische Ton in Dominiks schriftstellerischen Arbeiten auf. Er zeigt sich darin als experimentierfreudiger Wortneuschöpfer, der ein Zitat des amerikanischen Philosophen und Komparatisten Richard Rorty als Motto für sich gewählt hat: »Erkenntnis ist das Erfinden neuer Vokabeln.« Zu Dominiks stilistischen Besonderheiten zählt, dass er Substantive und Adjektive in Verben umwandelt, wodurch mitunter ein neo-expressionistischer Duktus entsteht, der mich an die durchrhythmisierte Dichtung eines August Stramm erinnert, wo jedes einzelne Wort genau kalkuliert, präzise gesetzt ist. »Bohnen gurken / Tomaten rüben / Trauben zwiebeln / Erbsen kichern – // es reift« heißt es beispielsweise in Dominiks Gedicht »Lust-Garten«. Solche Verse lesen sich wie listige Kommentare über das Wahrnehmbare hinaus.

Vom hiesigen Literaturbetrieb ließ sich ein Querkopf mit Kritikvermögen wie Nikolaus Dominik nicht vereinnahmen. Wie in der restlichen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland auch frönt man dort nämlich seit Jahrzehnten mehr oder weniger ungeniert dem Jugendkult. In meinen Gesprächen mit Nikolaus Dominik, die über die Jahrtausendwende immer intensiver wurden, kamen wir öfters auf die Tatsache zu sprechen, dass gerade erfahrene Schriftsteller über 35 von Fördermöglichkeiten nahezu ausgeschlossen bleiben, während ›clevere‹ Jungautoren mit einer papiernen Poetik aus dem Windkanal sich geschickt von Stipendium zu Stipendium schwingen. Demutsgesten gegenüber Kulturfunktionären waren Dominiks Sache nicht. Eine theoretisierende Schriftstellerkaste mit beamtenähnlicher Vollversorgung, die sich aus der Lyrikszene gleichsam selbst reproduziert und in ihrer eigenen Erlebnisarmut gegenseitig bespiegelt, duldet keine renitenten Strukturkritiker. Ein Mann wie Dominik, der sich selbst bisweilen als Freigeist bezeichnete, eckte an, weil es ihm vor allem darum ging, unabhängig zu bleiben und sich im Dialog mit dem Publikum selbst zu definieren.

Als Realist mit geringer Neigung, ein blasses und stromlinienförmiges Leben zu führen, versuchte der 1951 im oberpfälzischen Amberg geborene Nikolaus Dominik erst gar nicht, seinen Lebensunterhalt im Bereich der Belletristik zu verdienen. Der Linguist, Literatur- und Politikwissenschaftler wählte vielmehr das nach Objektivität strebende Nachrichtengeschäft zum Broterwerb, zunächst beim Bayerischen Rundfunk (BR), später bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Jemand wie er, der sich recherchierend am prügelnden Klerus im Bischofsrang oder an global agierenden Waffenschiebern aus der weiß-blau-schwarz verfilzten Franz-Josef-Strauß-Epoche kritisch abarbeitete, musste sich als Lyriker gewiss nicht vorwerfen lassen, seine Literatur sei im Elfenbeinturm entstanden.

Trotz und vielleicht auch gerade wegen der Hinwendung zu einem prosaisch ausgeprägten, nüchternen Hauptberuf war für Nikolaus Dominik die literarische Königsgattung der Lyrik stets eine Herzensangelegenheit. Seine eigenen Gedichte bezeichnete er gerne als »Lyrismen«. Beim Verfassen derselben betrat er gleichsam barfuß eine große Spielwiese, um »die Lust am Sprachexperiment« – wie er es auf dem Online-Fragebogen von dasgedichtblog.de einmal formulierte – exzessiv auszuleben. So produzierte er kontinuierlich, über drei Jahrzehnte lang, seine lyrischen Werke und publizierte sie in diversen Anthologien, Zeitschriften, Tageszeitungen sowie in eigenen Lyrik-Sammlungen (zuletzt »DNA vom Papst«, Nördlingen 2009).

Nikolaus Dominik war bereits als Kleinkind regelmäßig mit Poesie in Berührung gekommen. Am Anfang seiner großen Liebe zur gebundenen Sprache stand das Wiegenlied »Guten Abend, gute Nacht«, eine Perle aus der Schatztruhe deutscher Volkspoesie, die von Johannes Brahms vertont worden ist. Die »Überraschung über den schönen Klang« (O-Ton Nikolaus Dominik), den gerade eine Kombination aus Poesie und Musik zu entfalten vermag, prägte sein späteres Lyrikverständnis entscheidend mit. Vielleicht hat er sich gerade deshalb wie ein kleines Kind darüber gefreut, dass mehr als 50 Jahre später eine Auswahl seiner Lyrismen vom österreichischen Komponisten Fritz Keil und anderen Mitgliedern der »Gruppe für neue Musik, Ambitus« im Rahmen des Projekts »Schräge Chansons« vertont und in Wien uraufgeführt worden ist. Weil Dominik zu den Stammautoren meiner Zeitschrift DAS GEDICHT gehörte, fragte ich ihn im Frühjahr 2012 anlässlich des 20. Geburtstages des Magazins, was er tun würde, wenn er nochmals auf die Welt käme. »Opernsänger werden«, antwortete er.

Nikolaus Dominiks literarischer Horizont reichte weit über seine eigenen schriftstellerischen Ambitionen hinaus. So interessierte er sich von Anfang an auch stark für die Verbreitungsmöglichkeiten von Lyrik. Mein verlegerischer und editorischer Ansatz, der zeitgenössischen deutschsprachigen Dichtung ein Forum zu eröffnen, das deutlich über den Kreis der akademisch Eingeweihten hinausgeht, traf sich genau mit seiner Vorstellung von der Dichtkunst als geistiges Grundnahrungsmittel für Jedermann. Dominiks kluger Ratschlag, unsere Zeitschrift von offenen Ausgaben auf Themenhefte mit scharfem Profil umzustellen, erwies sich über viele Jahre hinweg als Überlebensrezept, gerade in Zeiten des kollabierenden Buchhandels- und Verlagsgewerbes.

Nach dem Tod von Nikolaus Dominik am 10. September 2012 war es für mich gleichsam ein selbstverständlicher Freundschaftsdienst, die Erinnerung an ihn als Lyriker wachzuhalten. Die vorliegende Sammlung »Es schneit ins Herz« soll ihm einen dauerhaften Platz sowohl in unserem persönlichen als auch im literarischen Gedächtnis einrichten. Bei der Auswertung sämtlicher Lyrismen im Hinblick auf den Kernbestand seines dichterischen Werkes ergaben sich deutliche inhaltliche Parallelen zwischen den Stoffen seiner Poesie und den ersten drei – sehr erfolgreichen – Themenheften von DAS GEDICHT: Erotik, Religion sowie Politik und Gesellschaft. Dabei handelt es sich im Grunde genommen um nicht weniger als die »ewigen Themen« der Dichtkunst, wenn nicht der menschlichen Existenz überhaupt.

Ich persönlich mag die knisternde, hochenergetische Erotik in Dominiks Liebesdichtungen sehr. Zu meinen Favoriten gehört das Gedicht »Booster« mit seinen herrlich ›gefährlichen‹ Anfangsversen »ach, strapse mich mein / Push-up-Baby / mir ist so miederlich«. Ich habe »Booster« auch in mein Hörbuch »Herzenspoesie« bei Eichborn aufgenommen, wo es vom Schauspieler Alexander Khuon kongenial rezitiert wird, vertont vom Gitarristen Martin Finsterlin. Als ich für Eichborn die CD live zusammen mit Finsterlin am 22. März 2007 auf der Leipziger Buchmesse präsentierte, war Nikolaus Dominik eigens dafür aus München angereist und hat unsere Performance sichtlich und nicht ohne Stolz genossen. Anschließend zogen wir gemeinsam durch Leipziger Kneipen und unterhielten uns fast die ganze Nacht lang über das Leben und die Poesie als dessen eigentliche Würze. Jedes Mal, wenn ich in Leipzig an jenem Lokal in der Mädler-Passage vorbeikomme, in dem wir seinerzeit bis in die Puppen zechten, denke ich an die glückliche Atmosphäre unserer nächtlichen Zusammenkunft zurück.

Gerade in der letzten Phase seines vorher bärenstarken Lebens hielten existentielle Themen wie Krankheit und Vergänglichkeit vermehrt Einzug in Dominiks Lyrismenwelt. Im Zusammenhang mit seiner Herztransplantation wurde er zu einem engagierten Unterstützer für Organspenden. Bis zuletzt gelang es ihm, im gesamten deutschsprachigen Raum eine große Öffentlichkeit für die Problematik des Organversagens und das Schicksal der Betroffenen zu sensibilisieren.

Im November 2011 schreibt der von Krankheit gezeichnete Wortakrobat Nikolaus Dominik, den zeitlebens gerade das Spielerische zum Verseschreiben angetrieben hat, den Lyrismus »Endspiel«: »ES schreit, schrittelt, schreitet / schwebt / zielt hinan / großt / umtänzelt sich / greist, steift / verstockt kindab / und / rolltrumpelt / ins / Erd«. Kein Jahr später war der lebenshungrige Weltreisende Nikolaus Dominik schon nicht mehr unter uns. Aber in seinen Gedichten ist er für mich so persönlich präsent wie eh und je und ich warte eigentlich nur darauf, dass er mich einmal wieder anruft, um mit mir über das Leben im Allgemeinen und die Lyrik im Besonderen zu diskutieren.

Anton G. Leitner
Weßling, im August 2013

Nikolaus Dominik: Es schneit ins HerzAus: »Es schneit ins Herz. Letzte Lyrismen«
edition DAS GEDICHT im Anton G. Leitner Verlag, Weßling 2013
 

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