Humor in der Lyrik – Folge 24: Rainer Maria Rilke (1875 -1926): Lächeln auf Sparflamme

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

Was ist jetzt eigentlich mit den sogenannten »ernsten Dichtern« los? Sind die etwa humorlos?
Also beispielsweise Rilke, Kafka, Grass oder die Jelinek? Wo bleibt in deren Werken der Humor? Er sei nicht zu finden, behaupten viele. Die Publikationen dieser großen Literaten seien durchgehend humorlos.

Stimmt das wirklich? Sind es also die sogenannten ernsten Dichter selbst, die es aus einem bestimmten Grund nicht wagen, Humor zu zeigen, wie dies auch der Kritikerpapst Marcel Reich Ranicki argwöhnte: »In Deutschland gilt«, so sein Urteil, »das Amüsante als unseriös, dem Charme misstraut man, das Leichte hat es schwer, das Spannende wird als dubios empfunden und das Witzige als undeutsch denunziert […] Bringt also das Kurzweilige den deutschen Autor in Verruf? Nein, das wäre natürlich übertrieben. Aber das Langweilige, das sich würdig gibt, hat in Deutschland immerhin die größere Chance, ernst behandelt zu werden.« Und, immer noch Zitat Ranicki: »Die Beschäftigung mit den Versen Erich Kästners überlässt man hingegen lieber dem Ausland. Gewiss, sie werden heutzutage auch von deutschen Literaturhistorikern nicht ignoriert und in der Regel wohlwollend erwähnt, doch meist in jenem herablassenden Ton, der dem Leser zu dem Schluss verhelfen soll, es handle sich um Erscheinungen am Rande dessen, was man als Literatur zu betrachten gewohnt sei. Im Hintergrund lauert ein nahezu tödlich gemeintes Wort: Kabarett.« Und davor scheuen sich die ernsten Dichter, um nicht als unseriös beiseite geschoben zu werden.

Oder ist es nicht vielmehr so, dass viele Ernsteliteraturleser den Humor in den Büchern der ernsten Autoren einfach nur nicht entdecken oder ihn vielleicht auch absichtlich gar nicht sehen wollen, ihn also aus den Werken dieser Autorinnen und Autoren verdrängen und damit verbannen? Nun gut, vielleicht ist es nicht das, was man üblicherweise unter Humor versteht, was in den Büchern dieser E-Autorinnen und -Autoren aufblitzt. Vielleicht ist es vielfach so etwas Ähnliches wie ein Humor vor dem Abgrund, der ein schallendes Lachen sozusagen vor dem Sprung ins Nichts provoziert. Ein Verwandter des schwarzen Humors, der ähnlich dem kosmischen schwarzen Loch alles verschlingt, vor allem Heiterkeit und das Lachen und damit letztlich den Humor selbst.

Wie dem auch sei, in dieser und immer wieder auch in einigen der nächsten Folgen »Humor in der Lyrik« möchte ich einen toleranten Blick auf einige dieser sogenannten humorlosen deutschen Dichter werfen und einmal schauen, ob sie und ihre Werke wirklich keinen Funken Humor aufweisen.

Beginnen wir mit Rainer Maria Rilke. Er hatte durchaus Spuren eines leisen Humors in seinem Werk hinterlassen, so etwa in den beiden folgenden Gedichten:
 

Der König

Der König ist sechzehn Jahre alt.
Sechzehn Jahre und schon der Staat.
Er schaut, wie aus einem Hinterhalt,
vorbei an den Greisen vom Rat
in den Saal hinein und irgendwohin
und fühlt vielleicht nur dies:
an dem schmalen langen harten Kinn
die kalte Kette vom Vlies.
Das Todesurteil vor ihm bleibt
lang ohne Namenszug.
Und sie denken: wie er sich quält.
Sie wüssten, kennten sie ihn genug,
dass er nur langsam bis siebzig zählt
eh er es unterschreibt.
 

Also, dass ein König bis 70 zählt, bevor er ein Todesurteil unterzeichnet, ist schon ein ulkiger
Einfall.

In einem Brief an Valerie von David-Rhonfeld von 1894 findet sich Rilkes Vers:
 

Aufrichtig ist der Christ! Wer kanns bestreiten,
daß er es ist? Daß er’s zu allen Zeiten
und unter jeder Fügung immer war?
Ihr zweifelt dran? Mir scheint es doch ganz klar,
hat er sich selbst nicht in so vielen Sprüchen
vortrefflich mit den Schafen stets verglichen?
 

Heilige

Grosse Heilige und kleine
Feiert jegliche Gemeine;
Hölzern und von Steine feine,
große Heilige und kleine.
Heilige Annen und Kathrinen,
die im Traum erschienen ihnen,
baun sie sich und dienen ihnen,
heiligen Annen und Kathrinen.
Wenzel lass ich auch noch gelten,
weil sie selten ihn bestellten;
denn zu viele gelten selten –
nun, St. Wenzel lass ich gelten.
Aber diese Nepomucken!
Von des Torgangs Lucken gucken
und auf allen Brunnen spucken
lauter, lauter Nepomucken!
 

Die »spuckenden Nepomucken« in diesem Poem lassen Rilkes schlitzohrigen Humor durchaus aufblitzen, dessen Werke auch heute noch gerne zitiert werden.

So soll ein Reporter nach dem entscheidenden Spiel in der Europameisterschaft 2016 Bundestrainer Jogi Löw gefragt haben: »Also das letzte Tor wäre doch zu vermeiden gewesen. Was sagen Sie dazu?« Darauf Jogi Löw nach kurzem Überlegen:

»Da kann ich nur eins dazu sagen … Der Ball … Du Runder, der das Warme aus zwei Händen / im Fliegen, oben, fortgiebt, sorglos wie / sein Eigenes; was in den Gegenständen / nicht bleiben kann, zu unbeschwert für sie, // zu wenig Ding und doch noch Ding genug, / um nicht aus allem draußen Aufgereihten / unsichtbar plötzlich in uns einzugleiten: / das glitt in dich, du zwischen Fall und Flug // noch Unentschlossener: der, wenn er steigt, / als hätte er ihn mit hinaufgehoben, / den Wurf entführt und freilässt -, und sich neigt / und einhält und den Spielenden von oben / auf einmal eine neue Stelle zeigt, / sie ordnend wie zu einer Tanzfigur, // um dann, erwartet und erwünscht von allen, / rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur, / dem Becher hoher Hände zuzufallen.«

Der Reporter starrte Jogi Löw verwirrt an. Darauf Löw grinsend: »Von meinem Freund Rainer Maria Rilke – sein Gedicht ›Der Ball‹. Tja, Bildung ist toll und macht auch vor uns Fußballtrainern nicht Halt.«

Rainer Maria Rilke, Karikatur aus der Zeitschrift Jugend (1926)
Rainer Maria Rilke, Karikatur aus der Zeitschrift Jugend (1926)
Dazu fällt mir noch eine Beschreibung von Carl J. Burckhardt ein, zu finden in dessen Kleinem Bändchen »Erinnerungen an Rilke und Hofmannsthal.«, Basel: Schwabe Verlag 2009, S. 9-10.)
 

Sein Blick war ernst,
doch Rilke konnte lachen
mit diesem klangvollen Kinderlachen,
das ihm eigen war
und das jedem, der es gehört hat,
völlig unvergeßlich ist,

vor allem

weil er nicht wie die meisten Leute
beim Lachen die Augen schloss
oder zusammenkniff,
sondern sie weit öffnete
und einen voll anschaute, fragend,
wobei diese meist unter den schweren Lidern
nachdenklichen, ja wehmütigen Augen
voll von Heiterkeit waren.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert